Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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30SEP2022
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Am kommenden Dienstag Abend begehen wir in aller Welt Jom Kippur, den Versöhnungstag. Franz Rosenzweig, der bedeutende jüdische Philosoph des 20. Jahrhunderts machte uns mit einer Besonderheit dieses Fasttages vertraut.

„An diesem Tag“, erwähnt er in seinem Werk: „Stern der Erlösung“, „und nur an diesem, ist zu beobachten, dass der Jude in seiner Synagoge niederkniet.  Er vollbringt damit gerade das, was er früher stets jedem Weltenherrscher in der Geschichte,- vom Perserkönig bis zu den römischen Imperatoren verweigert hatte.  Er vollbringt mit dem Knien in der Synagoge etwas, was keine irdische Macht von ihm verlangen kann.  Und womit er selbst seinem G-tt,-  an allen anderen Tagen des jüdischen Jahres nicht huldigt und dient.“

Man kniet in den Synagogen am Jom Kippur nicht während der üblichen Litanei des „Widduj“ des Sündenbekenntnisses; auch nicht beim Erflehen der g-ttlichen Vergebung,-  obwohl dies das Wesentliche der Inhalte dieses Tages ist.  Sondern bei einem Teil der Festtagsliturgie, wenn man meint, in die unmittelbare Allgegenwart G-ttes schauen zu dürfen. Wir knien in dem Augenblick dieses Tages, von dem wir erhoffen, dass dieser uns aus unserer irdischen Hinfälligkeit und Fehlbarkeit emporheben könnte.

Durch das Gedenken an die Zeremonien im einstigen Jerusalemer Tempel erreicht der Betende in der Synagoge an diesem Tag das Empfinden der Allgegenwart G-ttes. In der Gemeinschaft lebt am Jom Kippur der einstige, priesterliche G-ttesdienst im ehemaligen Tempel zu Jerusalem wieder auf.  Dies ist keine für immer untergegangene Zeit für die Hoffnung des Juden.  Im Gegenteil.  Die jüdische Hoffnung wird von der Erwartung genährt, dass sich am Ende der Zeiten alle Menschen allein G-tt unterwerfen mögen und jegliche Formen der menschenverachtenden Götzendienste, die Anbetung von trügerischen Verführern schwinden werden.

Wir beten für diese Hoffnung und Zukunftserwartung, ohne andere zu Bekehren-, damit ein Bündnis mit dem Schöpfer, die Menschen vereint, um Seinen Willen zu tun.  Dies sagen die Gebete des langen Fasttages aus, und daher knien einmal im Jahr die Besucher unserer Gebetshäuser nieder.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=36163
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