Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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Hildegards Leben beginnt sehr rheinland-pfälzisch: sie wird in Bermersheim vor der Höhe oder in Niederhosenbach, so genau weiß man es nicht, geboren. Das zehnte Kind ihrer Eltern. Mit acht wird sie deshalb von ihren Eltern weggegeben und auf ein Leben als Nonne vorbereitet, mit vierzehn kommt sie ins Kloster auf den Disibodenberg. Dort soll sie eigentlich bleiben. Es ist nicht vorgesehen, dass sie dieses Kloster jemals wieder verlässt. Hier soll sie beten und arbeiten.

Bis zu diesem Punkt scheint alles klar und vorgezeichnet. Besondere Vorkommnisse sind nicht eingeplant. Besondere Bedürfnisse und besondere Fähigkeiten auch nicht. Doch Hildegard hat Ausstrahlung und ist klug. Und sie hat Visionen, also Offenbarungen Gottes. Damit wird man in ihrer Zeit nicht zum Arzt geschickt, sondern als von Gott ausgezeichnet betrachtet. Nach und nach, Stück für Stück erkämpft sich Hildegard ein Leben, das zu ihrer Zeit außergewöhnlich ist – wir schreiben schließlich das zwölfte Jahrhundert, müssen also achthundertfünfzig Jahre zurück. Zu ihren Visionen kommt etwas ganz Entscheidendes dazu: Der Wille einen eigenen Weg im Leben zu gehen:

Hildegard gründet ihr eigenes Kloster und zieht vom Disibodenberg nach Bingen um. Und Klosterorganisation ist nicht ohne! Sie sammelt das naturkundliche Wissen ihrer Zeit. Sie beginnt zu schreiben, aber da ihr Latein nicht so gut ist, beschäftigt sie einen Ghostwriter. Sie beginnt zu komponieren. Sie ist eine ausgewiesene Netzwerkerin, korrespondiert mit Kaiser und Papst. Und, um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, bricht sie von Bingen aus in alle vier Himmelsrichtungen zu Predigtreisen auf. Als Frau. Und die Menschen strömen zu ihr und hören ihr zu.

Das war ihr nicht an der Wiege gesungen worden. Was vermeintlich festgelegt und vorgegeben scheint, das erweist sich mit einem Mal als zu eng. Als viel zu kurz gedacht. Aus einer Jungfrau hinter Klostermauern wird eine selbstbewusste Frau, die die Öffentlichkeit sucht. Eine frühe Rheinland-Pfälzerin, die bis heute weltweit verehrt wird.

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