SWR4 Abendgedanken

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14SEP2022
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Heute vor zwölf Jahren ist mein Vater gestorben. Er hatte Bauchspeicheldrüsenkrebs und konnte nicht operiert werden. Soweit ich ihn damals verstanden habe, wollte mein Vater mit dieser Diagnose sterben. Keine aufwändigen Therapien. Kein langes Leiden. Der Krebs hat ihn gezeichnet. Das hat man ihm angesehen und dem wollte er wohl etwas entgegensetzen, solange es noch möglich war. Stark und tatkräftig, wie er immer war und sich selbst gesehen hat. Er hat sich wohl gedacht: „Ich muss bald sterben, also will ich auch sterben.“ Mein Vater wollte sich nicht das Zepter aus der Hand nehmen lassen. Er wollte auch seinen Tod in der Hand haben, selbstbestimmt sterben.

Auf der einen Seite beeindruckt mich das tief. Was für einen starken Willen er hatte. Wie nüchtern er der Realität ins Auge geblickt hat. Wie konsequent er sich selbst treu bleiben wollte, solange wie nur irgend möglich. Dann aber, auf der anderen Seite, erschreckt mich auch das Harte, das darin steckt. Dass er sich nicht zugestehen konnte, schwach zu sein. Wie schwer es für ihn war, loszulassen, etwas nicht mehr in der Hand zu haben. So zwiespältig sehe ich bis heute darauf, wie mein Vater gestorben ist. Da ist Bewunderung und Erschrecken. Und auch die Sorge, ob er wohl ganz zuletzt - als er um Luft gerungen hat, im Kampf mit dem Tod - ob er da loslassen konnte. Hatte er so viel Vertrauen? Das weiß ich bis heute nicht. Ich versuche damit klarzukommen, dass das eben sein Weg war, eine Würde zu behalten, seinen Charakter nicht aufzugeben, der zu bleiben, der er zeitlebens war oder zumindest so, wie er selbst sich gesehen hat.

Ich weiß nicht, ob mein Vater ein gläubiger Mensch war. Von außen betrachtet wohl eher nicht. Er ging nicht in die Kirche, dafür um so mehr mit der Kirche kritisch ins Gericht. Ich weiß allerdings, dass mein Vater sich viele Gedanken gemacht hat. Er hat sich gefragt, wie ernst man das nehmen kann, was Christen sagen: über Gott und den Gottessohn Jesus. Zugehört hat er sehr genau, sich eine eigene Meinung gebildet. Über das Leben. Und über das ewige Leben auch.

Das und anderes ist bis heute offen, wenn ich an meinen Vater denke. Ich habe mich damit abgefunden, meinen Frieden damit gemacht. Der andere ist nicht wie ich. Deshalb ist es gut, ihn sein zu lassen, wie er ist, ihn zu respektieren. Und das besonders, wenn es ums Sterben geht, um den Weg hinaus aus dieser Welt, den ohnehin jeder ganz für sich allein finden und gehen muss.

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