SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

13SEP2022
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Was, wenn es einen trifft? Erst ein schwerer Schicksalsschlag. Und dann gleich noch einer. Die Tochter stirbt, weil sie nicht mehr leben will und kann. Kaum hatte die Familie sich einigermaßen davon erholt - das Nächste: Der Vater hat einen Schlaganfall, ist halbseitig gelähmt. Lange bleibt ungewiss, ob und wie gut er sich erholen wird.

Wer an Gott glaubt, muss sich da Fragen stellen. Wer damit rechnet, dass Gott etwas mit dem eigenen Leben zu tun hat, für den tun sich wahre Abgründe auf. Wie kann das denn sein, wenn wir von Gott sagen, dass es nur bei ihm wirklich gerecht zugeht? Wieso kommt dann gerade hier alles zusammen? Viele, die darauf Antworten versuchen, begeben sich auf dünnes Eis. Da kommen dann Sätze heraus wie dieser: „Wen Gott liebt, den straft er.“ Oder man hält dem, der ohnehin schon am Boden liegt, den folgenden Bibelvers unter die Nase: Wer nicht sein Kreuz auf sich nimmt, der kann nicht mein Jünger sein. Wer das zu einem sagt, der schlimm dran ist, der sollte sich in Grund und Boden schämen. Was für eine Arroganz, was für ein Hohn! Den hat keiner verdient, erst recht nicht in Gottes Namen. Wer so denkt, ist nicht auf der Spur, die Jesus in solchen Fällen gelegt hat.

Was aber sage ich Menschen, die das Unheil mehr als andere trifft? Zuerst einmal, und das ist für mich theologisch ganz entscheidend, zuerst spreche ich überhaupt nicht von Gott. Ich höre bloß genau hin, was die Betroffenen schmerzt, wo es besonders weh tut. Ich interessiere mich ausschließlich als Mensch für sie. Von Mensch zu Mensch. Und frage nach, ob und wie ich helfen kann. Ganz praktisch: Einkaufen, Wäsche waschen. Damit die Angehörigen den Rücken frei haben. Dann biete ich mich als Gesprächspartner an. Wenn das gewünscht ist, höre ich zu, lange, so oft wie’s guttut. Und erst, wenn ich spüre, dass von mir eine Reaktion erwartet wird, dann sage ich, was ich darüber denke, erst dann spreche ich. Ich sage, dass ich auch nicht verstehe, warum ihnen das passiert; und dass es mir weh tut, wenn ich sehe, wie sie leiden. Ich sage, dass ich darin keinen Sinn erkennen kann. Aber dass ich eben auch nicht alles verstehe, dass ich, dass wir nur ein kleiner Teil der großen Welt sind. Ich sage: Ich hoffe, dass es einen Sinn gibt, alles in allem, auch wenn ich ihn nicht verstehe. Wenn es dann noch geht, und die Angehörigen mitgehen, erst dann spreche ich von meiner Hoffnung: dass einmal alles gut werden wird. Weil es sonst den Gott nicht gibt, an den ich glaube.

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