SWR2 Wort zum Tag

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09SEP2022
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„Wann war Ihnen zum letzten Mal so richtig langweilig?“ Ihm sei diese Frage bei einem Führungsseminar gestellt worden – das hat mir ein Mann erzählt, der beruflich viel Verantwortung trägt. „Was haben Sie geantwortet?“, wollte ich von ihm wissen. „Dass das wirklich lange her sein muss“ hat er gemeint, „Aber auch, dass ich mich manchmal danach sehne. Dass es nichts mehr gibt, das unbedingt noch erledigt werden muss. Keine Teamsitzung. Keine Pläne für den Abend. In Wirklichkeit erlebe ich das Gegenteil! Immer muss ich klären, was als nächstes dran ist. Muss Abläufe steuern. Muss Entscheidungen treffen.“

Ich habe mir die Frage dann auch gestellt. Wann war mir zum letzten Mal so richtig langweilig? So viel anders als bei dem Mann sieht es bei mir - ehrlich gesagt - auch nicht aus. Gar nicht so schlimm, habe ich erst gedacht. Nichts mit mir und der mir zur Verfügung stehenden Zeit anfangen können - das ist doch kein erstrebenswerter Zustand. Eher verschwendete Lebenszeit. Langeweile und sinnerfülltes Tun – das schließt sich doch eigentlich aus.

Oder doch nicht?! Es muss doch herrlich sein, einmal keine Verpflichtungen mehr zu haben. Keine Projekte. Es muss doch guttun, einmal am Ziel zu sein. Einfach die Zeit anzuhalten. Keine Fragen mehr. Für eine kurze oder eben eine lange Weile. Jesus verspricht denen, die mit ihm unterwegs sind, eine solche Zeit. „Wenn ich wieder zu euch zurückkomme, dann werdet ihr mich nichts mehr fragen!“ (Johannes 16,23) Auch irgendwie langweilig, wenn ich keine Fragen mehr habe. Wenn alles geklärt ist. Darauf bin ich gespannt. Ich habe nämlich eigentlich eine ganze Liste von Fragen. Im Blick auf den Lauf der Welt. Krieg. Ungerechtigkeit. Aber auch, was mein eigenes kleines Leben angeht. Und die Menschen, die es mit mir teilen. Es muss ein besonderes Gefühl sein, wenn all diese Fragen plötzlich verschwinden.

Ob es Gott dann nicht auch langweilig ist, frage ich mich. Die Welt im Lot. Die Menschen so, wie sie sein sollen. Keine Gebete mehr, in denen die Menschen endlos Fragen stellen. Wohl eher nicht. Gott wäre dann am Ziel. Für eine lange, lange Weile. Womöglich für immer. Und meine kleine Langeweile – sie könnte eine Art Vorahnung sein, wie das sein könnte. Den Versuch wäre es doch allemal wert. Womöglich stellt sich ein großes Glücksgefühl ein, wenn ich doch einmal so richtig Langeweile habe. Und zumindest für den Moment keine Fragen mehr.

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