SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

24AUG2022
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Es gibt Momente, die prägen sich so tief in der Erinnerung ein, dass sie immer wieder – ganz plötzlich – auftauchen. Beim Autofahren geht mir das so. Jedes Mal, wenn ich unterwegs bin und sehe in der Ferne etwas Dunkles auf der Fahrbahn liegen, bin ich erleichtert, wenn es dann nur ein Erdklumpen oder ein Gummiteil ist. Und kein Tier! 

Ich werde den Moment niemals vergessen, als ein Rebhuhn aus dem Feld auf die Straße lief und ich nicht mehr bremsen konnte. Ich habe ein Mitgeschöpf ums Leben gebracht, völlig absichtslos – nur, weil ich mich mit dem Auto fortbewege. Ich habe mich geschämt.

Erst recht, wenn ich daran denke, dass die Autos hinter mir nicht ausweichen konnten und das von mir so bewunderte Geschöpf der Fahrbahn gleich gemacht haben. Jedes Mal, wenn ich einen Igel oder einen Fuchs oder einen Hasen leblos auf der Fahrbahn liegen sehe, schaudert es mich wieder von neuem.

Vielleicht hängt es mit dem zusammen, was Albert Schweitzer einmal die „Ehrfurcht vor dem Leben“ genannt hat. Es geht nicht allein um die Achtung für das eigene Leben und die menschliche Gattung. „Ehrfurcht vor dem Leben“ schließt auch die Mitgeschöpfe ein, die zur guten Schöpfung Gottes gehören. Albert Schweitzer, so wird erzählt, war in dieser Hinsicht radikal. Er soll sogar Insekten davor geschützt haben, dass sie nicht bei Nacht in sein heißes Leselicht fliegen: »Dem Menschen“, sagt er, „der zur Ethik der Ehrfurcht vor dem Leben gelangt ist, ist jedes Leben als solches heilig. Er hat Scheu davor, ein Insekt zu töten, eine Blume abzureißen. Den Wurm, der auf der Straße verschmachtet, errettet er, indem er ihn ins Gras legt.«

Ich freue mich darum umso mehr, wenn ich sehe, wie Kinder sich kleinen Tieren zuwenden. Mein Enkel zum Beispiel erschafft mit seinen Freunden richtige Paradiesgärten für Schnecken. Das schützt nicht gerade den Salat im Garten – aber die Schnecken verschiedenster Art – große und kleine – haben es prächtig. Sie werden in Wannen gesetzt – mit Blättern und Blütenblättern versorgt – damit es für die Schnecken auch etwas Buntes zu essen gibt. Diese Fürsorge, diese Zuwendung, diese und Sympathie mit verletzlichen kleinen Lebewesen, die rührt mich. Und ich weiß, dass es sie braucht, auch bei uns Erwachsenen, damit Lebensräume für Tiere erhalten werden – und sie geschützt werden vor Verdrängung durch Zubauen und Ausmosten der Landschaft.

Wenn sich Kinder diese Sanftmut im Umgang mit Tieren bewahren, könnten sie es sein, von denen Jesus sagt: „... sie werden das Erdreich besitzen.“ (Matthäus 5,5) – und eben keine zerstörte Wüstenei hinterlassen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=36071
weiterlesen...