SWR2 Wort zum Tag

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05SEP2022
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„Jetzt ist es geschehen“, sagt eine Frau zu mir. Wir sitzen bei ihr zu Hause am Küchentisch und sie erzählt mir mit verweinten Augen wie sie gestern abend wie immer noch zusammen mit ihrem Mann Abendbrot gegessen hat, wie sie anschließend im Wohnzimmer einen Film im Fernsehen zusammen angeschaut haben, und dann zusammen ins Bett gegangen und eingeschlafen sind. Und als sie am Morgen aufgewacht ist, war er tot. Einfach so. Eingeschlafen und nicht mehr aufgewacht. Ein bisschen hat sie ja damit gerechnet, sagt sie. Er sei schon länger schwach und kränklich gewesen und, ja, auch schon 89 Jahre alt.

Jetzt ist es geschehen. Immer wieder sagt sie diesen Satz. Ihre Hände suchen dabei nach Halt auf dem Tisch. Aber, sagt sie zu mir, nun ist es wie es ist. Und eines ist mir ganz wichtig, deswegen habe ich Sie gleich angerufen, Herr Pfarrer. Ich hätte gerne eine Aussegnung. Hier bei uns zu Hause. Dass er gesegnet wird. Ich glaube, das hilft mir. Damit ich Abschied nehmen kann. Auch wenn ich es noch gar nicht fassen kann.

Gerne komme ich ihrer Bitte nach. Denn ich kann ihren Wunsch gut nachvollziehen. Ich weiß, dass Rituale und Gebete gerade in solch einer Situation Kraft geben können. Die gebundene Form einer Andacht und die biblischen Worte können sehr hilfreich sein. Sie können dem Unfassbaren Sprache geben. Und sie geben Halt. Sie lindern die Hilflosigkeit und Ohnmacht, die man spürt, wenn ein Mensch hat gehen müssen.

Wir sind dann ins Schlafzimmer zu dem Verstorbenen gegangen. Ich habe eine Kerze mitgebracht und sie angezündet. In meiner Andacht habe ich mich auf weniges beschränkt. Und lese unter anderem folgende Verse aus Psalm 139:

Führe ich gen Himmel, so bist du da;
bettete ich mich bei den Toten,
siehe, so bist du auch da. 
Nähme ich Flügel der Morgenröte
und bliebe am äußersten Meer,
so würde auch dort deine Hand mich führen
und deine Rechte mich halten. 

Als wir später wieder am Küchentisch sitzen, hat mir die Frau dann gesagt, wie wichtig ihr dieser Segen war. Und vor allem wie sehr sie diese Verse berührt haben. Diese wunderbare Sprache. Und das Gefühl geborgen zu sein. Das hat in ihr eine große Ruhe ausgelöst. Und Trost gespendet.

Auch für mich ist Psalm 139 einer der schönsten Psalmen der Bibel. Und wohl auch eines der kraftvollsten Gebete der Bibel. Immer wieder berührt es mich, welche Kraft er entfalten kann.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=36018
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