SWR4 Sonntagsgedanken

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28AUG2022
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Meine Tochter hat mich mal wieder kalt erwischt: „Papa, wann geht die Welt unter? Schon bald, oder?“ Das hat gesessen. Wir sind gerade nach Hause gefahren und waren müde. Zum Glück: denn meine Tochter hat ihre Frage gestellt und ist dann eingeschlafen. Es hat mir zwar leidgetan, dass sie ausgerechnet mit diesen Gedanken in die Nacht gegangen ist. Aber ich war auch froh. So musste ich ihr nicht gleich antworten. Was hätte ich sagen sollen?

Wir waren in den Ferien viel unterwegs. Am Rhein zum Beispiel; er hat so wenig Wasser wie selten geführt. Auch im Zoo sind wir gewesen und haben Tiere gesehen, die vom Aussterben bedroht sind. Meine Tochter hat gefragt: „Ist das der Klimawandel?“ Zuvor hatte sie Corona und war einige Tage schlapp. Das hat sie beschäftigt, denn manche Leute sterben daran. Auch die Folgen des Ukraine-Kriegs hat sie gespürt; auf ihre Weise: eine Zeit lang war das Pommes-Fett knapp – für sie ein kleiner Weltuntergang.

Eine Katastrophe jagt die nächste. Nicht nur Kindern wird da mulmig. Auch mir. Als ich so alt war wie meine Tochter, war das nicht so. Oder doch? Wenn ich so darüber nachdenke, fällt mir ein, dass ich Angst vor AIDS hatte, dieser Krankheit, von der man wenig wusste, die aber tödlich war. Tschernobyl ist explodiert als ich acht war. Und der Kalte Krieg war ebenso präsent wie das Ozonloch. Auch die Generationen vorher kennen das: der Vietnamkrieg und die sauren Flüsse; oder noch früher: die Spanische Grippe, Weltkriege und Wirtschaftskrisen.

All diese Dinge sind heute verblasst. Medikamente wurden erfunden; Frieden geschlossen. Die Flüsse sind wieder sauber, und in meiner Erinnerung überwiegen keine Sorgen, sondern das Schöne, das ich damals gesehen und erlebt habe. Das ist vielleicht eine Spur, die ich meiner Tochter legen kann. Ich will ihre Sorgen nicht abtun und sagen, dass es früher ja auch schwer war. Aber ich will ihrer Angst etwas entgegen­setzen. Ängste und Katastrophen drängen sich oft in den Vordergrund. In den Medien verkaufen sich Horrormeldungen besser als gute Nachrichten; und über Negatives lässt sich besser tratschen. Nur kommt dabei oft zu kurz, was gut läuft, Mut macht und aufbaut.

Es tut gut, diesen Tunnelblick ab und zu aufzubrechen. Ich habe gehört, dass man sich am Tag höchstens zehn Minuten mit Negativschlagzeilen beschäftigen soll. Dann ist es Zeit für einen Ausgleich: man soll sich gezielt guten Meldungen widmen. Das lässt sich doch machen. Und wenn ich mit meiner Tochter wieder im Zoo bin, werde ich auch mit ihr nach dem suchen, was Hoffnung macht: Wir werden Arten finden, die nicht ausgestorben sind, weil sie sich angepasst haben. Oder Fische entdecken, die in der dunklen See leben und doch ganz bunt sind. Das zeigt, welche Pracht und Fülle, welchen Überfluss und welche Überraschungen die Schöpfung bereithält, mit denen wir vielleicht gar nicht rechnen ...

Meine Tochter ist recht pragmatisch. Sie hat überlegt, was sie gegen den Weltuntergang tun kann: Sie isst jetzt ihr Eis aus der Waffel statt aus dem Becher, weil der Becher in den Müll wandert, die Waffel aber in den Mund. Sie wünscht sich, dass wir ein Elektro-Auto kaufen. Und Fahrrad­fahren ist angesagt – auch wenn sie dabei mehr an mich denkt als an sich selber. Das sind keine neuen Ideen. Aber für sie sind sie innovativ – und ein Anfang. Sie träumt davon, dass das alle Menschen tun. Die Welt ist komplex und Kinder durchschauen vieles noch nicht. Aber das Prinzip ist ihnen klar: Was aus der Welt wird, haben alleine wir in der Hand.

Der Künstler Micha Kunze hat einen Text geschrieben, in dem es genau darum geht. Er heißt: „Die Abschaffung des Menschen.“[1] Kunze beschreibt in vielen Facetten, wie genial Gott die Welt gemacht hat: den Geruch von Holz zum Beispiel. Oder den weißen Schaum auf den Wellen. Immer wieder fügt er ein, wie es in der Bibel steht: „Gott sah, dass es gut war.“

Dann spricht Kunze über den Menschen. Gott hat auch ihn gemacht – als sein Abbild. Der Mensch ist frei zu tun, was er will. Er kann sogar – wie Gott – Dinge schaffen. Und das tut er auch: Fabriken, Plastik und Ausbeutung. Pornografie, Unterdrückung und Zerstörung. Wenn Micha Kunze das aufzählt, wird er immer dramatischer – bis er plötzlich stockt und wieder die Bibel zitiert: „Gott schuf also den Menschen als sein Abbild. Gott sah den Menschen und er sah, dass es …“ – Dann schweigt er. Ob es gut oder schlecht war – muss der Zuhörer entscheiden.

Als ich das gehört habe, war ich schockiert: Hat der Mensch den Karren wirklich an die Wand gefahren? Nutzt er seine Freiheit nur, um zu streiten und die Welt auszubeuten? Dann ist mir aufgefallen, dass Kunze auch so kleine Lichtblicke nennt: der Mensch ist auch zu Versöhnung fähig. Er hat Häuser und Kindergärten gebaut, Kinofilme und Versicherungen erfunden, Dinge, die Menschen entlasten, ihnen helfen und guttun. Ich habe etwas aufgeatmet: Gott hat den Menschen als sein Ebenbild geschaffen. Er traut ihm also etwas zu. Und er hat ihm alles mitgegeben, was er braucht, um das Steuer rumzureißen. Der Mensch muss es nur tun.

Aber wer ist „Der Mensch“? – Jede und jeder Einzelne. Jeder kann etwas beitragen, dass die Welt Zukunft hat. Jede auf ihre Art. Meine Tochter isst Eis aus Waffeln. Ich selber werde mein nächstes Handy nachhaltig einkaufen. Einige helfen Flüchtlingen. Mediziner bekämpfen Corona; Forscher experimentieren aktuell mit Bakterien, die Plastik zersetzen; und Politiker bemühen sich um Frieden.

„Papa, wann geht die Welt unter?“ Wenn meine Tochter das wieder fragt, bin ich hoffentlich nicht so unsicher. Ich könnte antworten: „Noch lange nicht, mein Schatz. Wir können was dafür tun, dass es gut wird.“

 

 

[1] Vgl. https://www.youtube.com/watch?v=6s6W8Q4g6b4

https://www.kirche-im-swr.de/?m=36005
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