Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

16AUG2022
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Ich kenne einen schmalen verwunschen Weg entlang an einem kleinen Bach. Auf der anderen Seite des Bachs steigt die Landschaft sofort steil an, und nur mit großer Mühe kann man dort hinaufklettern. Geht man diesen Weg, kommt man nach einiger Zeit – tief im Innern des Waldes – an eine kleine, verwitterte Brücke, die den Bach überquert. Das Erstaunliche ist: die Brücke endet im Nichts. Oder richtiger: Sie stößt im rechten Winkel auf den Berg – und dort geht es nicht weiter.

Die Brücke hat meine Neugier geweckt, und so bin ich den Hang hinaufgeklettert. Oben angekommen habe ich nicht schlecht gestaunt: der vermeintliche Berg war nichts anderes als ein gewaltiger Damm, den man vor vielen Jahrzehnten für eine inzwischen stillgelegte Eisenbahnstrecke aufgeschüttet hatte. Heute ist er von Bäumen bewachsen und von Sträuchern überwuchert. Mit Abstand betrachtet könnte man meinen, er sei schon immer ein natürlicher Bestandteil der Landschaft gewesen. Aber das stimmt nicht.

Ich stelle mir die Zeit vor dem Bau der Eisenbahnstrecke vor. Es muss hier früher ganz anders ausgesehen haben als heute. Jenseits des Walls gibt es Felder und Weiden. Die Landschaft muss weit und hell gewesen sein. Vermutlich sind die Bauern mit ihren Pferdefuhrwerken über diese Brücke auf ihre Felder gefahren. Ja, so muss es gewesen sein. Sonst macht eine Brücke an dieser Stelle überhaupt keinen Sinn.

Dieser Ort ist für mich zu einem Symbol geworden. Er macht mir deutlich: auch mein Leben hört nicht einfach an den Wällen auf, die mir den Blick versperren. Ich glaube nicht, dass Essen, Schlafen, Arbeiten, Erfolg haben, Feiern, Leiden und Sterben alles sind.

Für mich ist Jesus Christus so eine Brücke über den Bach, die zum Fragen und Nachforschen animiert. -“Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben (Joh 14,6)“, hat Jesus gesagt. Der Weg zu Gott, der Weg ins Weite. Die Worte von Jesus klingen mystisch und rätselhaft, aber inzwischen kann ich damit durchaus etwas anfangen:  Es tut mir gut, in Gottes Nähe zu sein, ihn als meinen „Vater“ anreden zu können. Ich freue mich, dass ihn mein ach so durchschnittliches Leben interessiert. Ich weiß: er kann mich gebrauchen in dieser Welt. Wenn ich mich von ihm prägen lasse, kann ich etwas von seinem Wesen widerspiegeln. Gott hat etwas mit mir vor. – Ein echt gutes Gefühl! Für mich vergleichbar mit dem Blick vom Bahndamm in die weite Landschaft.

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