Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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20AUG2022
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Es ist sehr warm in Stuttgart an diesem Tag. Ich habe gut trainiert und bin bestens vorbereitet auf den Lauf. Der Bereich rund ums Stadion pulsiert. Ein fröhlich gespanntes Durcheinander von Hobbyläufern und ambitionierteren Wettkämpfern. Mit meinem Laufpartner Timo sortiere ich mich in den Startblock ein. Wir beide haben ein Ziel: persönliche Bestzeit auf 10 km laufen. Der Startschuss ertönt. Los geht`s.

Auf den ersten Kilometern fühle ich mich gut und bin im Zeitrahmen. Weiter so. Bei Kilometer 4 schleichen sich erste Zweifel ein, ob die angestrebte Zeit heute wirklich drin ist. Einen Kilometer später verliere ich den Kampf gegen Geist und Körper. Timo rufe ich zu, er solle nicht auf mich warten. Ich selbst nehme deutlich Tempo raus. Wie peinlich, denke ich. Es kann doch einfach nicht sein, dass ich jetzt so abreißen lassen muss.

Andere Läufer überholen mich. Was für ein Loser, denken sie - ganz bestimmt. Dem Streckenposten versuche ich gequält zuzugrinsen. Was für ein Amateur, denkt er – ziemlich sicher. Und wie um alles in der Welt soll ich meinem Coach diese Leistung erklären!? Verschwendete Zeit diesem Weichei nochmal irgendwelche Trainingstipps zu geben, denkt er – auf jeden Fall.

Innerlich mache ich mich selbst fertig. Immer mehr Etiketten klebe ich mir auf, die mein Versagen beschreiben. So quäle ich mich durch die zweite Rennhälfte, ein kurzer Endspurt ist noch drin, dann ist diese Tortur endlich vorbei. Ich bin geknickt. Es stimmt wohl, was mir ein Lauffreund mal im Spaß gesagt hat: Was für ein untalentierter Körper!

Wenn ich scheitere, erscheinen sie unweigerlich vor meinem Auge: die Etiketten, die ich mir selbst anhefte. Und die Etiketten, die andere mir schon aufgeklebt haben oder von denen ich denke, dass sie so über mich denken. Es ist ein unbarmherziges Urteilen und Beurteilt-Werden. Und habe ich am Ende recht damit? Haben die anderen Recht damit?

Wenn ich in die Bibel schaue, entdecke ich: Bei Gott gibt es keine Etiketten. Im Gegenteil. Er befreit mich von allen Etiketten, die mich festlegen wollen. Jesus sagt: „Wie mich der Vater geliebt hat, so habe auch ich euch geliebt.“ Ich bin geliebt. Von Gott. Einfach so. Sagt Jesus. Das gilt sogar dann, wenn ich gescheitert bin. Gott macht seine Liebe zu mir nicht daran fest, was ich leiste. Was für eine Erleichterung!

An diesem Morgen in Stuttgart hilft mir mein Coach, das zu glauben. Er nimmt mich völlig verschwitzt in den Arm, wir machen eine kurze Analyse und dann fahren wir nach Hause. Für ihn bin ich mehr als dieser misslungene Lauf. Das zu spüren, tut richtig gut.

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