Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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18AUG2022
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Sie haben mich einbestellt – zum Mitarbeitergespräch. Wir sitzen uns gegenüber. Und dann geht sie los, meine Demontage. Sie haben eine lange Liste vorbereitet. Zusammengesammelt, was mir aus ihrer Sicht mangelt. Hier nicht genug investiert, da nicht den Erwartungen entsprochen, dort fehlte die Begeisterung. Es hört nicht auf. Minuten, die sich anfühlen wie Stunden. Schließlich das Resümee: Wir stellen uns ein Beschäftigungsende zum 31.12. vor.

So fühlt er sich also an: mein heftigster Sturz bisher. Obwohl ich soviel investiert hatte. Es hat nicht gereicht. Ich bin am Boden zerstört. Innerlich falle ich. Immer tiefer. Ich falle und falle. Ich bin gescheitert.

Scheitern, so ein unschönes Wort. Darf man das überhaupt!? Die auf Hochglanz polierten Profile bei Social Media vermitteln mir etwas anderes. Für Scheitern ist da kein Platz.

Ich bin, was ich vorzeigen kann. Ich bin, was ich auf der Haben-Seite präsentieren kann. Ich bin, was ich mir aufgebaut habe und leisten kann.

Scheitern ist was für Verlierer. So einer bin ich jetzt. Ich falle. Ins Bodenlose. Ins Nichts.
Zum Glück sitze ich bald anderen Menschen gegenüber - meiner Familie, meinen Freunden. Sie fangen mich auf. Menschen, die zu mir stehen. Die mich nicht fallen lassen, auch wenn ich es nicht gepackt habe.

Sie erinnern mich ein bisschen an Jesus, der seinen Freund Petrus nicht aufgegeben hat. Auch dieser Petrus war krachend gescheitert. Er hatte Jesus hoch und heilig versprochen immer bei ihm zu bleiben. Nur Stunden später hat Petrus es vergeigt. Er streitet ab, Jesus zu kennen. Ganze dreimal - und läuft davon.

Ein paar Tage später begegnen sich Petrus und Jesus wieder. Ein schwieriges Mitarbeitergespräch steht an. Blüht Petrus das gleiche Schicksal wie mir?
Doch es kommt anders – als ich es erlebt habe und ich vermute auch anders, als Petrus es erwartet hat. Es fasziniert mich, wie Jesus nicht über das Scheitern hinweg geht, aber Petrus auch nicht darauf festlegt.

Dreimal fragt Jesus Petrus, ob Petrus ihn lieb hat. Petrus bejaht, die Beziehungsebene ist geklärt. So wird es was mit einem Neuanfang. Und zwar nicht nur ein bisschen Neuanfang, sondern ein echter Neuanfang. Petrus soll weiterführen, was Jesus begonnen hat. Was für ein Vertrauen für einen, der gescheitert war.

Und auf einmal wird mir bewusst: auch für mich ist ja viel wichtiger, was dieser Jesus über mich denkt als die Meinung von Menschen. Bei Jesus ist Scheitern erlaubt. Er lässt mich nicht fallen. Mit Jesus geht es weiter, auch wenn ich denke, es ist das Ende. Wenn ich Jesus und Petrus sehe, fasse ich Mut, bekomme Kraft zum Aufstehen und Weitergehen.

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