SWR3 Gedanken

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03AUG2022
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Eine Freundin übt regelmäßig Kopfstand. Das tut sie nicht nur, um ihren Körper zu trainieren. Sie trainiert damit auch ihre Gedanken. Wenn sie nämlich ihren Körper auf den Kopf stellt, verändert sich nicht nur das, was sie sieht, sondern auch das, was sie denkt. Und darum geht es meiner Freundin: Sie will einen neuen Blick auf ihre Gewohnheiten und Gedanken bekommen.

Ich nehme meinen Alltag immer aus der gleichen Perspektive wahr. So wie ich es eben gewohnt bin. Und diese Perspektive hat sich in meinen 36 Lebensjahren verfestigt. Das ist erst einmal gar nicht so schlecht – denn meine Erfahrungen und mein gewohnter Blick helfen mir ja auch, mein Leben gut zu bewältigen.

Aber manchmal würde auch mir so ein Kopfstand gut tun. Ich hab das vor kurzem mal ausprobiert: Ich fahre mit der Bahn zu einem Geburtstag. Die Bahn verspätet sich und ich komme somit auch zu spät zur Feier.

Meine gewohnte Perspektive: Typisch Bahn – wieder einmal zu spät. Ich rolle mit den Augen und nehme mir vor, das nächste Mal mit dem Auto zu fahren.

Aber wenn ich meine Gedanken auf den Kopf stelle, sieht das ganz anders aus: Ich richte dann meinen Blick auf das Personal, das coronabedingt ausfällt, das streikt, weil die Arbeitsbedingungen zu schlecht sind; und auf die fehlenden Gelder, um die Infrastruktur entsprechend der Nachfrage auszubauen.

Ich wende meinen Blick ab von meinen immer wiederkehrenden Nörgeleien über die Bahn.

Klar, mein Gedanken-Kopfstand hilft mir nicht, pünktlich zu sein. Aber er hilft mir, die Dinge mal aus einer anderen Perspektive zu sehen. Eine Situation oder auch andere Menschen besser zu verstehen. Und aus meinen alten Gewohnheiten auszubrechen. Denn manchmal tut es einfach gut, wenn ich meine Welt – oder besser gesagt mich selbst – auf den Kopf stelle.

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