Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Gottesdienst ist wie … „das Sitzen im Biergarten“, hat der badische Dichter und Prälat Johann Peter Hebel vor 200 Jahren behauptet.

In einem Brief an eine Freundin hat er geschrieben: „Meine heilige Zeit, mein schöner großer Feyertag, wo ich näher als sonst, bei Gott und bei allem Guten bin, dauert von Ostern bis Pfingsten. Da gehe ich gerne in die Kirche und erbaue mich […] am Evangelium“. Hebel fährt fort: „Aber ebenso fromm und gerührt kann ich auch sein, wenn ich den ganzen Sonntags Morgen, […] im Hirschen, im Grasgarten unter den Bäumen im Freien, bei einem halben Schöpplein Rothem […] sitze.“ (an Gustave Fecht am 20. Mai 1807)

Als ich das zum ersten Mal gehört habe, habe ich mich als Pfarrer über Johann Peter Hebel geärgert. Wie kann man nur einen Gottesdienst mit einer Gartenwirtschaft und das Evangelium mit einem Schoppen Wein vergleichen?

Aber je länger ich drüber nachdenke, finde ich den Vergleich gar nicht so schlecht. Denn, wenn Hebel sagt: Statt in die Kirche kann ich genauso gut in den Biergarten sitzen, dann sagt er ja auch: Statt den Biergarten kann ich genauso gut den Gottesdienst besuchen. Der Gottesdienst am Sonntagmorgen ist in Hebels Augen also genauso schön und wohltuend, wie bei herrlichem Frühlingswetter in einer Gartenwirtschaft zu sitzen und es sich gut gehen zu lassen.

Gottesdienst tut gut. Ich finde: das stimmt. Lieder, die mich aufbauen, Texte aus der Bibel, die zum Nachdenken anregen, die Gemeinschaft mit anderen, ein Schwätzchen nach dem Gottesdienst. Ich gehe aus den meisten Gottesdiensten mit einem guten Gefühl. Vor allem bedeutet Gottesdienst für mich aber eine Begegnung mit Gott. Ich spüre, dass ich diese Begegnung brauche. Der Gottesdienst am Sonntagmorgen bietet einen Raum - die Kirche - und eine Stunde Zeit, um Gott zu begegnen. Raum und Zeit für Gott, die unter der Woche vielleicht fehlen.

Gottesdienst tut gut, aber man muss rein finden. Wenn ein Mensch nach vielen Jahren Pause einen Gottesdienst besucht, dann wird ihm manches vielleicht fremd vorkommen, und er wird die Gartenwirtschaft wahrscheinlich vorziehen. Es braucht Zeit und vielleicht mehrere Besuche, bis man mit dem Gottesdienst vertraut wird und wirklich mitfeiern kann. Aber das ist mit vielen guten Sachen so. Es braucht Zeit, bevor man sie zu schätzen weiß. Oder hat Ihnen Ihr erster Schluck Rotwein geschmeckt?

https://www.kirche-im-swr.de/?m=3585
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