Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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27JUL2022
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Ich frage einen Freund: „Wie hieß eigentlich deine Mutter?“ Ich weiß, dass sie schon viele Jahre tot ist. Er stutzt und meint: „Meine Mutter hieß Anna.“ Er zögert. „Aber ich würde eher sagen ‚Meine Mutter heißt Anna‘ – selbst wenn sie jetzt schon lange Zeit verstorben ist, ist und bleibt sie doch meine Mutter, die Anna heißt. Oder nicht?“

Das hat mich ganz schön ins Nachdenken gebracht. Eigentlich würde ich die Vergangenheitsform verwenden, aber es stimmt schon, was er sagt. Außerdem ist letztlich nur entscheidend, wie er es wahrnimmt. Mir wird noch mal deutlich, wie sensibel und individuell das Gespräch mit jemandem ist, der oder die einen geliebten Menschen verloren hat. Dabei sind nicht irgendwelche Rahmendaten wie das Alter oder die Anzahl an Jahren, die inzwischen seit dem Tod vergangen sind, wichtig. Das, was zählt, ist allein das jeweilige Empfinden der Person, die mit dem verstorbenen Menschen verbunden ist.

Ich fühle die Gegenwart geliebter Menschen, die verstorben sind, und das klingt für mich auch im folgenden Bibelvers an: „Ich vergesse dich nicht. Sieh her: Ich habe dich eingezeichnet in meine Hände“ (Jes 49,15f).

Ich vertraue darauf: Geliebte Menschen, die verstorben sind, sind in Gottes Gegenwart aufgehoben – und zwar mit allem, was sie ausmacht und eben vor allem mit ihrem Namen.

Und wenn ich mich an einzelne Begebenheiten mit diesen geliebten Menschen erinnere, werden diese Szenen für den Moment wieder Teil meiner Gegenwart. Das schmerzt oft, weil der Verlust noch einmal deutlich wird, gleichzeitig schenkt die Erinnerung ein Gefühl von Nähe und die schönen Erinnerungen zaubern vielfach ein Lächeln ins Gesicht. Die Menschen sind über ihren Tod hinaus präsent in meinem Leben. In besonderer Weise sind sie das an Tagen, an denen ich eh an sie denke, wie an ihrem Geburtstag oder ihrem Todestag.

Aber auch Kleinigkeiten lösen die Erinnerung aus: das Lied im Radio, das mich immer an eine Freundin erinnert. Wir haben es auf der Gartenparty gehört, bevor sie starb. Oder der Anblick der beiden Apfelbäume im Garten, die mein Opa gepflanzt hat.

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