Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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28JUL2022
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Sommerferien, endlich! Es gibt wenige Tage, die in meiner Erinnerung mit einem solchen Hochgefühl verbunden sind, wie der Beginn der ‚großen Ferien'. In diesen sechs Wochen, da tickt die Zeit einfach anders.

Die Franzosen nennen diese Zeit ‚vacances‘. Auf deutsch ‚leere Zeit‘. Also eine Zeit, die nicht durchgetaktet und durchgeplant ist. Eine Zeit, in der ich nicht dauernd etwas erledigen muss und immer etwas von mir erwartet wird. Ich darf sie selbst füllen, und wenn ich sie mal nicht fülle, dann ist es auch gut.

Anders ist es im Englischen, da heißen Ferien ‚holidays‘, ‚heilige Tage‘. Und unser Wort ‚Ferien‘ kommt aus dem Lateinischen und bedeutet ‚Ruhetage‘. Das waren Tage, an denen nicht gearbeitet wurde, sondern gefeiert.

Leere Zeit, festliche Zeit, heilige Zeit. Auch wenn wir heute ganz anders leben und glauben, vielleicht hat sich darin doch nicht so viel verändert. Denn in der Freizeit, in den Ferien, im Urlaub, da spüren wir manchmal etwas von dem, was die Sprache noch bewahrt hat: Zeit ist ‚heilig‘, weil sie geschenkt ist. Gerade die ‚leere Zeit‘ macht das deutlich. Wir können sie nicht herstellen, nicht kontrollieren. Sie ist einfach da.

Was ‚heilige Zeit‘ für mich bedeuten kann, das habe ich vor Jahren im Urlaub mal gespürt. Dabei war es gar nichts Besonderes. Wir saßen in einem kleinen Straßencafé, der Plastikstuhl wacklig und nicht sehr sauber. Die Wirtin brachte den Kaffee, wortreich, aber in einem Dialekt, von dem ich kein Wort verstanden habe. Daneben eine Familie mit Kindern, die sich lebhaft stritten. Und mitten in diesem Durcheinander auf einmal die Gewissheit: es ist gut, wie es ist. Ich bin ganz bei mir selbst – und zugleich ganz aufmerksam für alles um mich her, und mit allem einverstanden, was geschieht. 

In meiner Erinnerung war das ein heiliger Moment, ein Gottesgeschenk. Wie wenn sich mein Leben darin verdichtet hätte. Solche Augenblicke gibt‘s nicht so oft, und wir können sie ebenso wenig machen, wie wir die Zeit machen können. Aber ich glaube, dass es sie in jedem Leben gibt. Ganz unscheinbar. Ganz alltäglich. Und in den Ferien, in der ‚leeren Zeit‘, da sind wir vielleicht aufmerksamer, um sie auch wahrzunehmen, wenn sie kommen.

Leere Zeit, gefüllte Zeit, heilige Zeit – wie auch immer. Ich wünsche Ihnen schöne und erholsame Sommertage!

https://www.kirche-im-swr.de/?m=35831
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