Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

26JUL2022
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Wer in einer Lotterie spielt, hofft auf das große Glück. Am liebsten eine Million am Stück, oder auch ein Goldbarren, eine Weltreise, ein Sportwagen…. Ich hab so was auch mal versucht, mit einem Jahreslos für eine Sofortrente. Natürlich hab ich nicht gewonnen.

An einer Lotterie ganz anderer Art konnten BesucherInnen des Katholikentags im Mai in Stuttgart teilnehmen[1]. Es war eine „Lebenslotterie“, und das Rad, das gedreht wurde, war kein ‚Glücksrad‘, im Gegenteil. Wenn es anhielt, zeigte es nicht eine Zahl an, sondern ein Lebensschicksal. Das sollten die TeilnehmerInnen auf sich wirken lassen. Wie fühlt es sich an, im Rollstuhl zu sitzen und in einer Einrichtung zu leben? Oder wie geht es einem 54-Jährigen, der zwar mittlerweile clean ist, aber die vergangenen drei Jahre in einer Notunterkunft war? Und wie ist der Alltag einer Mutter, die mit drei Kindern in einem Flüchtlingsheim lebt? 

Es hat Mut gebraucht, ein schweres Schicksal so nah an sich ranzulassen. Und einige MitspielerInnen sagten später, dieses andere Leben habe sie nicht so schnell wieder losgelassen. Auch lange nach dem Spiel seien sie mit einem anderen Blick durch die Stadt gegangen.

Das war natürlich Absicht. Den Mitspielenden bewusst zu machen, wie ungleich die Chancen sind, mit denen Menschen ins Leben starten. Den meisten wurde klar, wie sehr sie selbst doch Glück hatten, unterm Strich, bei allen Härten und Problemen, die jedes Leben nun mal mit sich bringt. Man konnte dann schon ins Nachdenken kommen: Wie könnte ich vielleicht etwas zurückgeben, um einen kleinen, vielleicht winzig kleinen Ausgleich zu schaffen in der ungleichen Verteilung der Lebenschancen? Wer wollte, konnte Vorschläge bekommen und erfahren, in welchen Diensten für andere man sich engagieren kann. Ganz nach den eigenen Möglichkeiten und Fähigkeiten und Vorlieben. Geflüchteten helfen, deutsch zu lernen oder sie zum Arzt begleiten. In einem Seniorenheim vorlesen oder Volkslieder singen. Jemand mit Handicap zum Einkaufen fahren. Mit dem Hund rausgehen, wenn die Besitzerin nicht mehr gut zu Fuß ist.

Ich bin immer wieder beeindruckt, wie viele Menschen anderen helfen. In organisierten Diensten oder einfach so. Und damit dem Glücksrad der großen Lebenslotterie ein wenig in die Speichen greifen. Ein ganz klein wenig. Aber besser als nichts. Viel besser.

 

[1] Angeboten wurde das Rollenspiel von Mitarbeitenden des Freiwilligenzentrums ‚Caleidoskop‘ Stuttgart (https://www.caleidoskop-stuttgart.de), einer Einrichtung der Caritas.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=35829
weiterlesen...