SWR1 Begegnungen

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24JUL2022
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Nikola Huppertz Foto: Bert Strebe

Janine Knoop-Bauer trifft Nikola Huppertz, Autorin und Preisträgerin des evangelischen Buchpreises 2022

„Schön wie die Acht“ heißt das Buch, für das sie mit dem diesjährigen evangelischen Buchpreis ausgezeichnet wurde. Es ist die Geschichte des 13jährigen Malte. Der liebt Zahlen und mag es, wenn die Dinge berechenbar sind. Aber dann gerät seine Welt gehörig ins Wanken, als seine Halbschwester vorübergehend bei ihm einzieht. Was ist die Idee hinter der Geschichte?

Ich habe versucht einzufangen…. welche verschiedenen Ansätze es gibt, um Ordnung in Gedanken zu bringen und damit auch in den Blick auf die Welt und die Wahrnehmung der Welt und der Menschen um einen herum. Und habe da versucht, einen logischen Ansatz gegenüber zu stellen, einem, der eher sprachlich und emotional gefärbt ist, um … zu schauen, was funktioniert auf die eine Weise und was funktioniert auf die andere Weise. Und wofür braucht man vielleicht auch beides, um in etwas chaotische Umstände selber irgendwie in Ordnung reinzubringen?

Malte muss lernen: manchmal entzieht sich die Welt jeder Logik. Für ihn eine echte Krise. Braucht es solche Erschütterungen, um erwachsen zu werden?

Krise bedeutet für mich… dass irgendetwas nicht mehr funktioniert, was bis dahin funktioniert hat, sei es gedanklich, sei es lebenspraktisch. Man stößt auf einmal auf Widerstände, und das spricht immer mehr gegen die alte Art, mit den Dingen umzugehen oder über sie zu denken. Und das ist erstmal ja wahnsinnig unangenehm. …. Und in dem Moment, in dem ich aufhöre zu leugnen und mir überlege, was mache ich denn jetzt? … In dem Moment wird, glaube ich, Entwicklung in Gang gesetzt.

Nikola Huppertz zeigt in ihrem Buch: es gibt Wege aus solchen Krisen. Für sie selbst ist dabei vor allem eines wichtig:

Zu zeigen, was eigentlich Aufrichtigkeit sein kann. Es ist ja am Anfang in eine ganz verdruckste Situation. Keiner lässt so richtig sehen, was er denkt. Was er empfindet oder wie man auch zu den anderen Personen steht. Alle halten etwas zurück. Und worauf es dann wirklich ankommt innerhalb der Entwicklung der Geschichte ist, dass all diese Personen, die miteinander in Beziehung stehen, so etwas wie Aufrichtigkeit entwickeln und dadurch auch Verständnis füreinander und Mitgefühl füreinander, das vorher so noch nicht dagewesen war

Ehrlich sein – mit sich selbst und mit anderen. Für die Romanfigur Malte wird das zur Rettung. Für Nikola Huppertz steht fest – damit könnte er ein gutes Vorbild sein, für die jugendlichen Leerinnen und Leser.

Das ist für mich eigentlich der Dreh- und Angelpunkt: dass die Figuren aus der Reserve herausgelockt werden und auch beim Lesen hoffentlich die Jugendlichen sehen können, es lohnt sich, in sich selber hineinzuschauen und sich auch anderen mitzuteilen. Man kommt an einen anderen Punkt, und es geht einem besser damit.

Aufrichtigkeit ist das Schlüsselwort in Nikola Huppertz Buch.

Teil 2
Nikola Huppertz ist Schriftstellerin und schreibt gerne für Kinder und Jugendliche. In ihrem neusten Buch geht es der 46jährigen um Aufrichtigkeit. Sie meint: Das Leben verändert sich, wenn Menschen aufrichtig miteinander umgehen.

In dem Moment, wo man merkt, okay, jemand verschließt sich nicht mehr…, sondern sagt: „Ich habe Fehler gemacht!“, öffnet es einem selbst ne Tür: Erstens ihn anzuhören oder sie und zweitens auch bei sich selber zu schauen: Habe ich vielleicht auch Fehler gemacht, habe ich einen Anteil an dem Ganzen gehabt und das ist… wieder, diese Sache der Aufrichtigkeit. In dem Moment, in dem irgendjemand Schwäche auch eingestehen kann und Fehler und Schuld, gelingt es auch bei den anderen leichter.

In der christlichen Tradition spricht man von Reue, wenn einer zu seiner Schuld stehen kann. Wenn Fehler eingestanden werden, fällt es leichter, sie zu vergeben und vielleicht auch, die Situation insgesamt neu zu bewerten, in der die Fehler geschehen sind. Denn die haben ja oft vielschichtige Gründe.

Es gibt Situationen, da kommt man nicht weiter mit richtig und falsch, sondern sie sind per se schwierig. Und was man auch macht, ist verkehrt…. Ich finde, das macht es so ein bisschen versöhnlich zu sehen: Jeder hat sich Mühe gegeben, und das Scheitern an der Situation war kein bösartiges Scheitern, sondern war einfach geboren aus einer ganzen Folge von vielleicht Fehlern oder Zusammenhängen, die man nicht rückgängig machen konnte.

Nikola Huppertz findet: Kinder und Jugendlichkeit können die Vielschichtigkeit der Welt verkraften, wenn Erwachsene aufrichtig mit ihnen umgehen und ihnen etwas zutrauen – sie leben ja in der gleichen komplexen Wirklichkeit wie die Großen.

Ich sehe kein Tabu, was einfach gar nicht geht bei Jugendlichen, außer eben sie niederzuschmettern, das fände ich unfair. Sie sind einfach noch nicht so lebenserfahren. Und es ist schon genug Zumutung, dass wir Erwachsenen auch von vielen Dingen einfach keine Ahnung haben - die Menschen, die uns eigentlich leiten, die haben selber keinen Plan.

Das einzugestehen fällt Erwachsenen oft schwer – dabei ist Aufrichtigkeit vielleicht sogar die wichtigste Basis für starke Beziehungen zwischen Menschen. Nikola Huppertz zumindest wünscht Ihren Leserinnen und Lesern:

dass sie zumindest eine Ahnung davon mitgenommen haben, welche Entlastung es darstellen kann, Dinge auszusprechen, also sie wirklich mal zu kommunizieren. All diese peinlichen Dinge. Ich habe einen Fehler gemacht. Ich bin mir nicht sicher, ob du mich überhaupt liebst. Das sind so Sachen, die denkt jeder manchmal, und ich glaube, es ist eine wahnsinnige Entlastung, dafür Worte zu finden. Und wenn es das Buch einfach so punktuell zeigen kann, wie das geht, wie das funktionieren kann, dann wäre das für mich total befriedigend. Also, das würde ich den Leserinnen und Lesern wünschen, dass sie das zumindest mal ausprobieren.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=35809
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