Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

23JUL2022
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Auf einmal ist es ganz still. Für mich ist das ein besonderer Moment im Gottesdienst: wenn das „Stille Gebet“ beginnt und alle ruhig werden. Naja, meistens ist am Anfang noch ein bisschen Geraschel. Aber dann gibt es auch im lebhaftesten Familiengottesdienst meist doch diesen einen Augenblick, in dem alle still sind. Zu hören sind dann nur noch die ganz leisen Dinge: Der gemeinsame Atem der Menschen, das Glucksen eines Babys auf dem Arm der Eltern… Solange, bis doch wieder ein Gesangbuch runterfällt oder ein Kleinkind geräuschvoll gähnt. Aber das macht nichts. Er war da, der Moment der Stille.

Ich finde es eindrücklich, wenn es so leise wird, obwohl viele Menschen beieinander sind. Weil Stille überhaupt selten geworden ist. Dabei ist klar: Dauernd dem Lärm ausgesetzt zu sein, schadet nicht nur den Ohren, sondern allgemein der Gesundheit. Die Stille ist mir aber auch deshalb wichtig, weil ich merke: Obwohl alle ruhig sind, hört man sich gegenseitig viel besser. Stille macht es möglich, genau hinzuhören. In mich hineinzuhören – und auch die leisen Töne um mich herum wahrzunehmen.

Auch Gott, so waren Menschen über Jahrtausende überzeugt, lässt sich besonders gut in der Stille hören. Besonders schön erzählt das die Geschichte vom Propheten Elia (1. Könige 19): Der ist in eine blutige Auseinandersetzung mit seinen religiösen Gegnern geraten und hat dabei auch noch die Königin gegen sich aufgebracht, die nun droht, ihn umzubringen. In seiner verzweifelten Lage findet er Zuflucht in einer Höhle. Dort will Gott zu ihm kommen. Zuerst fegt ein Sturm über die Höhle hinweg, der Felsen zerbricht. Dann ein heftiges Erdbeben. Schließlich Feuer. Aber Gott ist nirgends zu finden. Dann wird es ruhig – und Elia hört ein stilles, sanftes Sausen. Erst da merkt er: Jetzt ist Gott da.

Ruhig werden, um auch die leisen Töne wahrzunehmen: Um auf die Geräusche der Natur zu achten, um auf die stilleren Mitmenschen zu hören und vielleicht auch auf Gott – dafür braucht es, glaube ich, gar keinen besonders meditativen Lebensstil. Es reicht, den Ohren ab und an bewusst eine Pause gönnen. Bei einem Spaziergang im Wald zum Beispiel, abends auf dem Sofa, wenn alle Geräuschquellen abgeschaltet sind oder in der Stille eines leeren Kirchenraums. Manchmal genügt auch ein kurzer Moment, in dem die Stille hörbar wird. Im Gottesdienst oder anderswo.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=35800
weiterlesen...