Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

22JUL2022
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Abends mit dem Fahrrad an einer frisch gemähten Wiese entlangfahren und mir den würzigen Geruch in die Nase steigen lassen. Im Freibad den Sonnencreme-Duft riechen oder das kräftige Aroma vom Grill im Garten. Am Sommer mag ich auch die intensiven Gerüche.

Meine Nase, so habe ich den Eindruck, ist besonders eng mit meiner Gefühlswelt verbunden. Gerüche stoßen mich ab oder ziehen mich an, wecken gute oder schlechte Erinnerungen. Wenn mir zum Beispiel der Duft des Parfüms in die Nase steigt, das auch meine Oma benutzt hat. Oder wenn es so riecht wie in einer Situation, die mir so richtig gestunken hat.

Gerüche zeigen Wirkung – und es verwundert deshalb nicht, dass Menschen sich schon immer vorgestellt haben, dass auch Gott eine empfindliche Nase hat. Und dass auch er sich an angenehmen Gerüchen freut. Weihrauch in Gottesdiensten erinnert heute noch daran.

Gott, da waren sich die Menschen zur Zeit des Alten Testaments sicher, mag den Geruch von Brandopfern – das stimmt ihn freundlich. Was für ein Schock, als Gott plötzlich ausrichten ließ, dass ihm diese Art von Opfer eigentlich „stinkt“. Ich mag eure Gottesdienste nicht riechen, so steht es tatsächlich beim Propheten Amos in der Bibel (Amos 5,21). Und dann sagt Gott, was er stattdessen will: Recht und Gerechtigkeit.

Die klaren Worte machen deutlich: Es stinkt Gott, wenn Menschen Gottesdienste feiern, aber nicht leben, worum es da geht. Fair mit anderen umgehen, zum Beispiel. Und sich für Gerechtigkeit einsetzen – am Arbeitsplatz, in der Familie, im Ehrenamt.

Was ich spannend finde: Unsere Nase tickt eigentlich ganz ähnlich. Ob der Geruch eines anderen in mir positive oder negative Gefühle auslöst, hängt ja nicht nur daran, ob er angenehm riecht. Sondern auch daran, ob ich gute Erfahrungen mit ihm gemacht habe. Ob er fair mit mir umgegangen ist und ob ich zu meinem Recht gekommen bin. Auch das edelste Parfüm mag ich nicht mehr riechen, wenn die Person, die es trägt, mich dauernd ungerecht behandelt.

Meine Nase ist eng mit meinen Gefühlen verbunden. Wenn etwas für mich gut riecht, macht mich das glücklich. Frisch gemähtes Gras am Sommerabend zum Beispiel. Ein leckeres Essen. Ein Mensch, den ich mag. Und ja, ich würde sagen: Auch Fairness riecht gut.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=35799
weiterlesen...