Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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18JUL2022
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Ich mag es, Dinge zu spüren. Im Sommer gehe ich gern barfuß über den weichen Rasen. Fühle den Sommerregen auf der Haut oder lasse mich vom Wind und der Sonne trocknen, wenn ich aus dem Wasser gestiegen bin.

Die Haut ist unser größtes Sinnesorgan. Der Tastsinn entwickelt sich bei Kindern im Mutterleib schon ab dem zweiten Schwangerschaftsmonat – früher als alle anderen Sinne. Trotzdem habe den Eindruck, dass er bei uns eher ein Schattendasein führt. Unsere Welt ist so organisiert, dass es wenig zu fühlen gibt. Die meisten von uns sind wenig im Freien unterwegs und berühren vor allem Touchscreens.

Was fehlt, wenn man die beste Freundin oder gar die eigenen Eltern nicht in den Arm nehmen darf, mussten wir in letzten Jahren schmerzlich erfahren. Aber nicht nur in Coronazeiten ist für viele Menschen – gerade auch für ältere – zärtliche Berührung ein knappes Gut. Denn wann berühren wir uns im Alltag schon einmal? Früher, in der Großfamilie, war das selbstverständlich – aber heute? Da ist es oft gut, wenn ein Haustier da ist, das sich gerne übers weiche Fell streicheln lässt. Denn Berührungen sind wichtig für den Körper und die Seele. Das ist inzwischen sogar wissenschaftlich bewiesen.

Wohltuende Berührungen – in der Bibel ist davon öfter die Rede. Besonders eindrücklich finde ich, was von Jesus erzählt wird (Johannes 12,1-8). Er sitzt mit seinen Freunden zusammen. Und ihm ist schon klar, dass er bald sterben muss. Da kommt unvermittelt eine Frau in den Raum, reibt Jesus die Füße reichlich mit edlem Öl ein und trocknet sie dann auch noch mit ihren Haaren an. Seine Begleiter sind entsetzt. Vermutlich vom Auftritt der Frau insgesamt. Aber besonders davon, dass sie das kostbare Öl verschwendet hat. Man hätte es verkaufen können und mit dem Erlös den Armen helfen, sagen sie. Aber Jesus sieht es anders: Sie hat mir etwas Gutes getan, sagt er. Für ihn war die liebevolle Berührung in diesem Moment, als er sich innerlich aufs Sterben vorbereitet hat, kostbarer als alles andere.

Ich finde deshalb: Auch wir sollten uns mehr wohltuende Berührungen gönnen. Gegenseitig, wo es möglich ist und beiden guttut. Aber auch von der Welt um uns herum: Sonne und Regen, Wasser, Erde und Luft bewusst spüren. Und ja, warum nicht auch selbst der eigenen Haut mal wieder eine freundliche Berührung und ein gutes Gefühl gönnen. Ein wenig Hautöl oder eine Cremedose ist bestimmt noch im Haus.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=35795
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