SWR1 Begegnungen

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17JUL2022
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Doris Köhncke Foto: Manuela Pfann

Manuela Pfann trifft Doris Köhncke. Sie ist die Leiterin des Fraueninformationszentrums in Stuttgart und kümmert sich um Frauen, die Opfer von Menschenhandel geworden sind.

Wenn Menschen an andere verkauft werden wie ein Stück Vieh, dann spricht man von „Menschenhandel“. Das ist eine Straftat und trotzdem werden jeden Tag tausende Menschen auf der ganzen Welt wie Ware gehandelt. Weil damit viel Geld verdient werden kann. Mit Doris Köhncke spreche ich über dieses Thema. Genauer gesagt: über Frauen, die Opfer von Menschenhandel sind und dann zur Prostitution gezwungen werden. Die Theologin leitet das FIZ, das Fraueninformationszentrum in Stuttgart, und betreut solche Frauen.

Also Menschenhandel bedeutet, dass jemandem…. was versprochen wird und dabei aber getäuscht wird. Zum Beispiel: Toller Job, Verdienst oder auch die große Liebe. … Dann stellt sich raus: es stimmt aber nicht, es wird ganz was Anderes verlangt, der Job ist nicht Kellnern, sondern der Job ist Prostitution.

Wer sich aus so einer Situation befreien kann und im FIZ ankommt, hat Glück. Doris Köhncke und zwölf Beraterinnen helfen den Frauen dabei, neu anzufangen. Ihr Leben wieder selbst in die Hand zu nehmen. Wer sind diese Frauen, welche Geschichten erzählen sie, möchte ich wissen. Und warum geraten sie in die Fänge von Menschenhändlern?

Menschenhandel funktioniert immer über ein Arm-Reich-Gefälle. Ich brauche Menschen, die arm sind oder die in Not sind oder bedroht sind oder in einer schwierigen Lebenssituation und deswegen nicht weiterwissen.

Wie eine junge Frau aus Rumänien, an die sich Doris Köhncke erinnert:

Die kam aus einem Dorf, da wussten alle, dass der eine Nachbar in Deutschland ist, da viel Geld verdient; der kam da immer mit einem dicken Mercedes nach Hause gefahren und alle wussten, der hat da ein Restaurant und er hat ihr angeboten, sie kann da bei ihm arbeiten. Sie hat kurz überlegt und alle haben bestätigt, na klar, das wussten alle.

Mach das, haben sie gesagt. Weil alle davon ausgegangen sind: Der Nachbar hat tatsächlich ein Restaurant. Die junge Frau hatte keine Möglichkeit herauszufinden, was wirklich in Deutschland auf sie warten sollte. Nämlich Zwangsprostitution. Frauen aus Ost-Europa sind „typische“ Opfer von Menschhandel, aber auch Frauen aus Afrika:

Der westafrikanische oder nigerianische Menschenhandel ist leider sehr groß, das ist ein Geschäftsmodell, das boomt.

Und zwar auch deshalb, weil viele Frauen weg möchten. Sie fliehen vor Zwangsverheiratung oder Genitalverstümmelung. Diese Situation nutzen Menschenhändler aus: Sie bringen die Frauen nach Italien oder Spanien - und zwingen sie dort zur Prostitution. Wer sich daraus dann befreien kann, versucht nach Deutschland, Österreich oder in die Schweiz zu kommen, möglichst weit weg, denn:

Gerade beim westafrikanischen Menschenhandel werden die Frauen Jahre, wenn nicht gar Jahrzehnte bedroht und gesucht, wenn nicht sie selber, dann ihre Angehörigen.

Für sie organisiert das FIZ deshalb zuerst einmal eine sichere Unterkunft und versucht sie dann zu begleiten. Zum Beispiel bei Anhörungen, wenn es darum geht, eine Aufenthaltserlaubnis zu bekommen oder Asyl zu beantragen. 

Die Theologin Doris Köhncke leitet das Fraueninformationszentrum FIZ in Stuttgart. Dort wird Frauen geholfen, die Opfer geworden sind von Menschenhandel. Immer neue Fälle, jedes Jahr werden es mehr; das scheint wie ein Fass ohne Boden zu sein. Verlässt einen da nicht manchmal die Hoffnung, dass sich diese Situation jemals ändert?

Natürlich braucht es eine gewisse Ausdauer da dranzubleiben und es ist manchmal auch frustrierend. Aber letztlich ist dann die Arbeit und die Begleitung der einzelnen Frau was unendlich Wertvolles. Und wenn man Eine unterstützen kann, dass sie es schafft, ist das eine grandiose Erfahrung zu sehen, wie sich jemand wieder entwickelt und wieder zu einem selbstbestimmten Leben zurückfindet.

Der Weg dorthin ist für die betroffenen Frauen hart, der Ausstieg aus der Prostitution enorm schwer. Und wenn es eine Frau geschafft hat, dann warten neue Hürden. Über die ärgert sich Doris Köhncke sehr. Und sie erzählt mir ein Beispiel:

Ich hab jetzt grad wieder eine Frau aus Kamerun, sie war auch Opfer von Menschenhandel, die will Krankenschwester werden. Hat die Ausbildung angefangen, wurde schwanger. Jetzt ist das Kind zwei und sie will jetzt unbedingt weitermachen.

Aber die Frau ist alleinerziehend und braucht eine Kinderbetreuung während der Schichten in der Nacht und am Wochenende. Sie kann das aber nicht finanzieren.

Wir brauchen Krankenschwestern en masse, und da hat man eine, die will das machen und man macht‘s ihr unendlich schwer.

Doris Köhncke ist seit gut zehn Jahren im FIZ. Sie hat viele starke Frauen kennengelernt, wie diese Schwestern-Schülerin. Die sind ganz und gar nicht „nur“ Opfer, sagt sie.

Also ich finde es immer hoch beeindruckend zu erleben, dass die Frauen einerseits oft unendliche Geschichten erlebt haben, Leid und Gewalt und negative Dinge und es trotzdem aber schaffen, an ihre Ressourcen anzudocken. Und dann merkt man, was da da ist. An Kraft, an Lebenserfahrung, an Hoffnung, an Mut.

Ihr Resümee und ihr Blick auf die ausgebeuteten Frauen überrascht mich, so habe ich das noch nie gesehen:

Eigentlich sind die Betroffenen von Menschenhandel ja diejenigen Frauen, die sich was trauen. Weil sie haben ja gewagt, ins Ausland zu gehen. Die, die Opfer sind, sind die, die was ändern wollten. Ich weiß eine, die wollt so gerne in die Schule gehen. Und dann durfte sie nicht mehr und ihre Familie hatte kein Geld mehr …

… und das war die Masche, mit der man sie gekriegt hat. Statt Schulbesuch in Europa ist sie dann allerdings in der Zwangsprostitution gelandet. Doch sie ist daran nicht zerbrochen.

Die will was vom Leben, die will was erreichen und die will sich einsetzen. Dann ging das zwar schief, sie wurde ausgenutzt, aber wenn sie daraus dann frei ist, dann sind das schon Frauen, die kämpfen weiter; für sich, für ihre Kinder, für ihre Träume, für was auch immer.

Fraueninformationszentrum – FIZ | VIJ (vij-wuerttemberg.de)

https://www.kirche-im-swr.de/?m=35786
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