Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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18JUL2022
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Ich liebe Worte. Ich habe das Gefühl, unsere Sprache ist ein echter Schatz. Und es macht mich richtig glücklich, wenn einzelne Wörter plötzlich in ihrer ganzen Bedeutungstiefe zu funkeln beginnen. Seit einiger Zeit begleitet mich so das Wort „aufrecht“. Zuerst ist es mir bei meiner Orthopädin begegnet: ich soll mich ab und zu am Tag ganz bewusst aufrecht hinsetzen, hat sie gesagt. Mich aufrichten und dabei die ganze Länge meiner Wirbelsäule ausnutzen. Wenn ich das tue, dann merke ich richtig, wie ich größer werde. Ich richte mich auf: Schultern nach unten – Blick geradeaus, und spüre: Das tut nicht nur meinem Rücken unglaublich gut.

Durch die äußere Haltung gewinne ich auch an innerer Haltung. Und da ist mir das Wort wieder begegnet: Bei der Konfirmation hat der Pfarrer den Jugendlichen gewünscht, dass sie aufrecht durchs Leben gehen. Sicher hat er dabei nicht die orthopädische Übung im Sinn gehabt, sondern  an diese innere Haltung gedacht. Aufrecht, sich nicht verbiegen lassen, aufrichtig sein mit sich und anderen. All das schwingt in diesem Wunsch mit. Martin Luther meinte, wir Menschen brauchen Hilfe dabei, so aufrecht durch Leben zu gehen. Wir würden uns nämlich oft in uns selbst verkrümmen. Manchmal, weil wir von außen dazu gezwungen werden, weil Menschen uns nicht so annehmen wollen, wie wir sind. Manchmal aber auch, weil wir uns selbst in uns zurückziehen, klein machen, krumm machen. Für Luther war klar: Gott wirkt dem entgegen. Gott hilft den Menschen, sich aufzurichten. Und zwar, weil er uns sieht, wie wir sind. Und uns ermutigt, zu uns selbst zu stehen. Das ist nicht leicht, weil es auch unbequem sein kann. Wer sich aufrichtet, nimmt deutlich mehr Raum ein – steht da mit Ecken und Kanten. Und muss lernen sich zu bewegen, um nicht ständig im Weg zu stehen. Sich selbst und anderen. Aber wer das übt, merkt auch sehr bald, wie er daran wächst. Größer wird. Sichtbarer. Und auch die Beziehungen ändern sich: wenn wir den anderen aufrecht und aufrichtig begegnen, dann sind wir auf Augenhöhe. Eine gute Voraussetzung für starke und gesunde Bindungen, in denen sich keiner über den anderen stellt.

Aufrecht – ein kleines Juwel im Worteschatz unserer Sprache. Und es wird noch wertvoller, wenn wir es mit Leben füllen. Also: Lassen wir es funkeln nach allen Seiten!

https://www.kirche-im-swr.de/?m=35754
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