Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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14JUL2022
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Auf meinem Schreibtisch stehen immer Sterbebildchen. Die Erinnerung an Menschen, die ich kannte. Manche von ihnen habe ich beerdigt. Nach einer gewissen Zeit wandern die Bildchen dann in mein Gesangbuch. Zur Zeit steht das Sterbebild von Herzog Carl von Württemberg vor mir. Ich war am 2. Juli auf seiner Beisetzung und habe im Fernsehen den Kommentar gesprochen. Auf dem Bildchen ist alles wie immer: innen ist ein Portrait, dazu Bibelworte, die Bitte ums Gebet. Nur vorne auf der ersten Seite, da steht bei Herzog Carl ein wunderbarer Gedanke, der mich schon beim ersten Lesen beeindruckt hat.

Er lautet: Herr und Gott, da bin ich. Nichts als ich. Vor dir. Darüber ein Gemälde von Maria mit dem nackten Jesuskind auf ihrem Schoß. Ich habe sofort verstanden, was damit zum Ausdruck gebracht wird: Auf dem Schoß der Gottesmutter sieht sich der Verstorbene selbst sitzen. Er wünscht sich dort zu sein, wenn er zu Gott kommt. Und er hat keine Furcht, dabei nackt zu sein. Er braucht dann nichts mehr von dem, was in seinem Leben oft eine große Rolle gespielt hat: kein Schloss, kein Wirtschaftsunternehmen, keine adligen Gepflogenheiten. Sogar der Schmerz darüber, dass sein ältester Sohn tödlich verunglückt ist und nicht sein Nachfolger werden konnte, ist vergangen. Im Tod, an der Schwelle von diesem irdischen Leben in die Ewigkeit braucht es nichts mehr, und es gibt auch nichts. Nur ihn selbst. Wie er war – als Mensch, als Person. Da ist er auf einmal so nackt, wie er einst 1936 auf die Welt kam. Und davor braucht er sich nicht zu fürchten. Weil Gott sich nur für die Liebe interessiert. Für das Gute, das er anderen getan hat. Und Herzog Carl hat viel Gutes getan. Vor allem für Kinder, die schwer krank sind oder ohne die Sorge von liebenden Eltern aufwachsen müssen. Ob das reicht, und wie es um die Fehler und Schwächen bestellt ist, die es bei ihm genauso gab, wie bei uns allen? Der kurze Gedanke auf Herzog Carls Sterbebildchen legt auch das in Gottes Hand: Herr und Gott, da bin ich. Nichts als ich. Vor dir. Wie klug dieser Gedanke ist und wie wohl es tut, darauf zu hoffen.

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