Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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12JUL2022
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Vor zwanzig Jahren hat Herbert Grönemeyer sein berühmtestes Album veröffentlicht. Es hat den Titel „Mensch“ und das erste Lied heißt auch so. Einfach: „Mensch“. Es gibt für mich eine besonders markante Stelle in dem Lied. Sie lautet: „Der Mensch heißt Mensch, weil er irrt und weil er kämpft, und weil er hofft und liebt, weil er mitfühlt und vergibt."

Es gibt viele Versuche zu definieren, was ein Mensch ist. Grönemeyer versucht hier seine Definition. Und was mich angeht, trifft er mit seiner Beschreibung ins Schwarze. Was er da an Gefühlen und Eigenschaften nennt, ist genau das, was mich am meisten bewegt, wenn ich es an anderen beobachte oder bei mir selbst feststelle. Ich bin dann am meisten Mensch, wenn ich einen Fehler mache, mich gar in eine Sache verrannt habe und es irgendwann merke. Denn das kann ich: Mich festbeißen an einem Thema, worüber ich in ein paar Wochen einen Vortrag halten soll, obwohl etwas anderes gerade viel wichtiger wäre. Dann beginne ich zu lesen, Nachforschungen anzustellen, Leute zu befragen, die sich auskennen, weit über das normale Maß hinaus. Und vergesse fast alles andere um mich herum. Bis ich am Ende merke. Darauf kam’s gar nicht an. Das war viel zu viel für das, was ich sagen kann.

Als Pfarrer habe ich oft mit Menschen zu tun, die eine Sache sehr plagt. Weil sie sich in einen verliebt haben, der verheiratet ist. Weil sie plötzlich schwer krank werden. Weil sie vor lauter Fragen und Sorgen kein Land am Horizont sehen. Ich spüre dann, wie sie kämpfen, sich wehren gegen den Feind, der in ihnen schafft. Da können ungeheure Kräfte am Werk sein. Und obwohl sie aus dem herausfallen, was ihnen bisher einen Rahmen gegeben und ihr Leben zusammengehalten hat, werden sie gerade darin als Menschen ganz stark und groß: wie sie kämpfen und hoffen.

Was ist der Mensch? Was macht einen Menschen überhaupt zum Menschen? Was braucht einer, damit er ein Mensch ist und was darf ihm fehlen, und er bleibt trotzdem einer? Es geht  ständig um diese Fragen. Oft merke ich es gar nicht. Aber wenn ich es merke, dann entdecke ich das Wunder, das im Menschen steckt. Dass ich oder ein anderer erschüttert sein kann, am Boden zerstört, und trotzdem groß ist, großartig. Als kleiner Mensch, „der irrt und kämpft, der hofft und liebt, der mitfühlt und vergibt“. Und genau darin ganz groß wird.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=35748
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