Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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07JUL2022
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Bevor ich das erste Mal nach Südkorea geflogen bin, hatte ich Bilder im Kopf von Hochhäusern, mehrspurigen Straßen und Industrie. Süd-Korea ist schließlich einer der asiatischen Tigerstaaten, habe ich gedacht. Und mega Wirtschaftswachstum geht nur mit konsequenter Planung, klarer Strategie und Zukunftsorientierung. Aber als ich dann vor Ort war, habe ich noch eine andere Seite dieses Landes kennengelernt. Viele Menschen in Süd-Korea haben die Fähigkeit  im „hier und jetzt“ zu leben – also ganz in der Gegenwart, im Augenblick. Und das überrascht, denn es gibt viele Probleme im Land: Süd-Koreas Gesellschaft verändert sich rasend schnell und das schafft vor allem zwischen den Generationen Konflikte – auch in der Kirche. Die Älteren, die Vieles aufgebaut haben, wollen die Richtung bestimmen, aber die junge Generation will diesen Weg nicht mehr gehen. Dazu immer die Bedrohung durch Nord-Korea im Hinterkopf. Jetzt steigen auch noch die Rohstoffpreise und die Präsenz des amerikanischen Militärs hat sich durch den Ukraine Krieg verstärkt. Es gäbe also viele Gründe sorgenvoll in die Zukunft zu schauen. Doch mittendrin habe ich koreanischen Christen erlebt - oft mit Ruhe und Geduld und zuversichtlich. Ich habe meinen Freund Mjung Jul gefragt, ob diese Gelassenheit aus den konfuzianischen Wurzeln der koreanischen Kultur kommt oder durch buddhistische Einflüsse. Da hat er mich erstaunt angeschaut und gemeint: „Wir als Christen wissen doch selbst um alle Vorläufigkeit der Welt – da braucht es keine anderen asiatischen Religionen – auch wenn es hier so nahe liegt. Als Christ lebe ich im hier und jetzt und baue für die Zukunft an einer besseren Welt“. Ich bin zuerst sprachlos gewesen und es hat mich auch beschämt. Aber dazu habe ich wohl nach Korea kommen müssen: Um zu lernen, das jeder Tag seine eigene Sorge hat. Mein koreanischer Glaubensfreund hat mir die Augen und Ohren geöffnet: Ich bin im hier und jetzt gefragt – aber darf hoffen auf eine andere, eine bessere Welt und wenn man so auf das Leben blickt, dann kann man wirklich gelassen sein.  „Und wenn alles zu viel wird“, hat Myung Jul noch nachgeschoben, „dann werfe ich all meine Sorge auf Gott, denn er hält es aus.“

https://www.kirche-im-swr.de/?m=35720
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