SWR2 Wort zum Tag

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01JUL2022
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Bald ist wieder Zeugnistag. Abifeiern landauf, landab. Abchlussprüfungen in der beruflichen Ausbildung und an Universitäten. Eltern fiebern mit - und wünschen ihrem Nachwuchs Erfolg: Die Tür zu einer beruflichen Karriere möge sich für sie öffnen. Das bedeutet in aller Regel auch: besser sein müssen als Andere. In der Konkurrenz mit Anderen nicht nur bestehen, sondern sie übertrumpfen.

Jesus hat es einmal mit solch einer karrierebewussten Mutter zu tun bekommen. Das war die Mutter seiner beiden Jünger Johannes und Jakobus. Sie ist vor ihm niedergefallen und hat ihn inständig gebeten: »Lass doch meine beiden Söhne neben dir sitzen, wenn du in deinem Reich regierst – einen rechts von dir, den anderen links.« (Mt 20,21)

Das ist, gelinde gesagt, eine sehr weit vorausschauende Karriereplanung: Ihre beiden Söhne sollen dereinst vor den Anderen zehn Jüngern sozusagen direkt neben dem Chefsessel platziert werden.

Was mich wundert: Jesus kanzelt das Ansinnen der Mutter nicht ab von wegen: „Konkurrenzdenken ist doch vom Teufel!“ Er weiß, dass es im Leben in aller Regel so zugeht. Jesus verurteilt diese Mutter nicht, er fragt vielmehr zurück, und zwar die Söhne, die offenbar ihre Mutter vorgeschickt haben:
„Ihr wollt in meiner Nähe bleiben? Das freut mich. Aber ist euch auch klar, dass das nicht zu einer Karriere im herkömmlichen Sinn führt? Mein Weg schließt Leiden und Schmerzen ein. Könnt ihr da mitgehen?
„Ja, das können wir“, antworten die beiden.

Ihren Eifer dämpft Jesus nicht. Er macht nur zwei Vorbehalte: Er selber vergibt keine Sitzplätze im Himmel. Und schließlich soll es unter denen, die seinen Weg mitgehen, anders zugehen. Da geht es nicht um Einfluss und Ansehen. Für Jesus zählt etwas Anderes: sich Einsetzen für Andere, ihnen dienen. Das ist wahrscheinlich kein einfacher Weg. Aber einer, der, wie ich finde, herausführt aus dem „Nur irgendwie besser sein als Andere“.

Bundespräsident Steinmeier hat unlängst angeregt, über eine Dienstpflicht nachzudenken. Wie und ob ein solcher Dienst umsetzbar ist, kann ich nicht beurteilen. Doch sich im Leben für Andere einsetzen – ihnen dienen – und dabei beglückende Erfahrungen machen – das kann herausführen aus den vorherrschenden Vorstellungen von Erfolg. Ganz gleich in welchem Beruf man dann tätig ist.

Ich beobachte: Menschen für pflegende und erziehende Berufe sind derzeit gesucht. Da muss man niemanden übertrumpfen oder niederkonkurrieren. Bereitschaft dazu ist gefragt. Ich freue mich, wie das Dienste für Andere aufwertet.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=35699
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