SWR2 Wort zum Tag

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30JUN2022
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Immer wieder kommt es zu bösartigen Anfeindungen und Verleumdungen gegen Jüdinnen und Juden. Bis heute. Der engagierte Widerspruch dagegen ist nicht erst von gestern: Einer, der seine Stimme dagegen erhoben hat, war Johannes Reuchlin. Herausragend in seiner Zeit. Heute ist sein 500.ter Todestag.

Reuchlin war Philosoph, promovierter Jurist und Diplomat. Und nicht zuletzt: Professor für hebräische Sprache. Er war ein Kenner und Freund der jüdischen Literatur. Als Christen zu Beginn des 16. Jahrhunderts – angestachelt von Dominikanermönchen – die Verleumdung der heiligen Schriften Israels betrieben – und ihre Beschlagnahmung gefordert haben – da hat Reuchlin ihnen seine Sachkenntnis entgegengesetzt.
Vorwürfe wie diese hat er entkräftet: Juden würden Gott lästern oder konsekrierte Hostien schänden. Als Gutachter hat er sich als einziger gegen diese haltlosen Vorwürfe ausgesprochen.
Damit wurde er selber zur Zielscheibe von Angriffen. Man hat ihn öffentlich verleumdet und Prozesse gegen ihn angestrengt – allen voran der Kölner Johannes Pfefferkorn. Reuchlin hat Pfefferkorns Lügen gegen sich und das jüdische Schrifttum in seiner Schrift „Augenspiegel“ widerlegt  - und 1511 in Tübingen veröffentlicht.
„Augenspiegel“ ist ein altes Wort für eine zwickerartige Gelehrtenbrille, die damals von Menschen getragen wurde, die viel gelesen und studiert haben. Ein Sinnbild für das, worum es Reuchlin ging: Mit dem Blick des Gelehrten genau hinschauen und die wüsten Unterstellungen gegen Juden mit klaren Argumenten widerlegen.

Für diese Haltung bewundere ich den großen Humanisten Reuchlin.
Und für seine Empathie mit dem Judentum. In einer Zeit, in der er damit ziemlich allein stand. Sein Grabstein in der Stuttgarter Leonhardskirche legt dafür ein beredtes Zeugnis ab. Reuchlin hat ihn selbst entworfen – womöglich für sich selber, doch das ist nicht sicher überliefert. Auf der Kopfzeile steht da auf Hebräisch: „Olam hachajim“ – zu deutsch: „Ewiges Leben“. Und daneben auf Griechisch: „Anastasis“ – „Auferstehung“. Knapper und treffender kann man wohl die jüdisch-christliche Verbundenheit im Hoffen und Glauben nicht zum Ausdruck bringen.

Sein Grabstein ist ein Zeugnis für gelebte Judenfreundschaft. Vor 500 Jahren ist Johannes Reuchlin gestorben. Für mich ist sein Engagement Auftrag und Mahnung gegen jede Form von Judenfeindschaft anzugehen. Sein Leben leuchtet – auch noch in die finsteren Abgründe unserer Gegenwart.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=35698
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