Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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09JUL2022
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Wolken – Wolken Bilder zu betrachten erlaube ich mir leider viel zu selten. Dabei beruhigen sie mich ungemein. Besonders an sonnigen Tagen, wenn am Himmel Wolkenformationen entstehen und sich langsam wie in einem Sandbild verändern. Wenn ich mir erlaube einfach in den Himmel zu schauen - dann ist das wie meditieren: Je länger ich meinen Blick auf die Wolken richte, werden die Assoziationen unkonkreter und alles irgendwie harmonisch. Das tut mir gut.

Nicole ist es früher auch immer so gegangen. Schon als Kind hatte sie sich in den Himmel verliebt und deswegen Meteorologie studiert. Inzwischen hat Nicole zwei Kinder bekommen und arbeitet als Lehrerin. Eigentlich könnte alles gut sein: sie hat einen sicheren Job und das Geld reicht auch – aber Corona und der Krieg haben sie total aus der Spur geworfen. Sie sieht in den Wolken Bildern nur noch apokalyptische Reiter und Gestalten der anbrechenden Endzeit. Alles ist ihr ein Zeichen geworden und die Wolken im Himmel scheinen ihr nur noch schwarz und bedrohlich.

Neulich habe ich sie zufällig getroffen als sie ihre 16- jährige Tochter von der Schule abgeholt hat. „Was machen die Wolken?“ habe ich sie gefragt. Zuerst hat sie mich verständnislos angeschaut. Und dann hat sie gesagt: „Schau selbst – so wird es nicht weiter gehen, dass sind alles schrecklich Zeichen am Himmel.“ Ihre Tochter am Arm ist nicht erschrocken – sie kennt ihr Mutter nur zu gut. Aber sie hat gesagt „Mama, er ist doch Pfarrer – er meint gar nicht diesen Himmel – er meint den göttlichen Himmel – da gibt es sicher nur Schäfchen Wolken“. Den Spot habe ich überhört – denn sie hat ja Recht: Was mir Kraft gibt in diesen Zeiten ist ein Blick in den Himmel, den Himmel als Ort von Gottes Zuversicht. Nicht die apokalyptischen Reiter, nicht Inflation, Krieg und Krankheit, sondern Zukunft, Zuversicht und Hoffnung sind es, was ich da sehe. Zu Nicole habe ich gesagt: „Stimmt, schau dir diese Schäfchen Wolken an – jeden Tag nur zwei Minuten. Ein Blick in den Himmel – ein Blick in die Hoffnung. Dann liegt der Tag immer noch vor dir - aber mit einem anderen Vorzeichen.“ 

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