Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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29JUN2022
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Spontan sein ist manchmal alles andere als gut. Bei meinem Friseur bekomme ich mit, dass eine Kundin kurzfristig einen Termin absagt. Sehr kurzfristig und leider hat sie das schon mehrmals gemacht.

Beim ersten Mal war mein Friseur noch nachsichtig, jetzt aber, als es sich wiederholt hat, ist er sehr verärgert. Er hat sich die Zeit freigehalten und jetzt hat er einen Arbeitsausfall. Waschen, Färben, Stylen - mindestens zwei, drei Stunden fallen weg, die nicht ganz so einfach ersetzt werden können. Er hat zwar eine Warteliste, aber nicht jedem gelingt es, spontan vorbeischauen. Vor allem nicht, wenn der Termin zwei Stunden vorher abgesagt wird. Und wer keinen Kunden hat, kann nicht arbeiten und entsprechend auch nichts verdienen. Er ist verärgert und ich fühle mit ihm. So lässt sich schlecht arbeiten.

Ich verstehe mich gut mit meinem Friseur.  Und so erzählt er mir, was ihn noch mehr verärgert: Nämlich, dass die Kundin etwas unbedarft ist. Sie sieht nämlich keinen Fehler bei sich selbst. Diverse Umstände machen es ihr einfach nicht möglich vorbeizukommen. Sie sieht nur sich, denkt nur an die eigenen Probleme. Nicht die des anderen. Deshalb gibt es auch keine Entschuldigung von ihr, nur Ausreden.

Ich versuche ihn zu beruhigen und versuche mich in die Kundin hineinzuversetzen. Denn manchmal kommt ja wirklich viel zusammen, und man muss Termine absagen. Man hat Stress und muss sich um sich selbst kümmern. Da vergisst man leicht den anderen und denkt auch nicht immer daran, sich zu entschuldigen. Vielleicht hat so die Kundin gedacht.

Mein Friseur gesteht, dass er das ja auch nachvollziehen kann: Jeder kann mal schlechte Zeiten haben. Aber das ist nicht der Punkt. Es hätte ihm geholfen, wenn sie einfach „Hey sorry, mir geht’s grad echt nicht gut. Können wir verschieben“ gesagt hätte. Die langen Ausreden sind für ihn das Schlimme gewesen.

Und wieder einmal nehme ich von meinem Friseur mehr mit als einen neuen Haarschnitt: Nämlich, dass das Zusammenleben in unserer Gesellschaft besser abläuft, wenn ich in solchen Fällen nicht nach Ausreden suche, sondern mich einfach entschuldige. Und ich dann danach mit meinem Gegenüber gemeinsam schaue, wie wir zusammen weitermachen können.

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