SWR2 Wort zum Tag

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27JUN2022
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Jetzt werden die Tage nach der Sommersonnenwende und dem Johannistag am 24. Juni wieder kürzer. „Er muss wachsen, ich aber muss abnehmen,“ hat Johannes der Täufer über Jesus gesagt. Deshalb hat man ihm später einen Geburtstag zur Zeit der Sommersonnenwende zugewiesen. Das Johannesevangelium zeichnet das Bild eines demütigen Johannes, der mit dem eigenen Bedeutungsverlust wunderbar zurechtkommt und Jesus neidlos die größere Bedeutung zuerkennt. Wahrscheinlich hat die Realität anders ausgesehen, und es hat durchaus Konflikte zwischen den Jüngern des Johannes und den Jüngern Jesu gegeben.

In der Realität des Lebens fällt das vielen Menschen ebenso schwer. Einige Erben von Familienunternehmen können unendliche Geschichten davon erzählen, wie sich die Alten nur mühsam aus dem operativen Geschäft zurückziehen oder noch aus dem Ruhestand heraus die Firma kontrollieren wollen. Und auch viele Pfarrerinnen und Pfarrer im aktiven Dienst können ein Lied davon singen, wie schwierig es ist, wenn sich der Vorgänger oder die Vorgängerin weiterhin in das Gemeindeleben einmischt.

Natürlich bin ich in der Tiefe meines eitlen Herzens auch der Ansicht, dass ich die Weisheit mit Löffeln gefressen habe. Doch spätestens die Geburt meiner Enkelin hat mir klar gemacht, dass meine Sommersonnenwende gekommen ist. Meine Tage werden kürzer, und eine neue Generation wächst heran, die das Recht auf ihre eigene Sicht auf das Leben hat und sich nicht darüber freut, wenn Omi sich ständig einmischt. „Er muss wachsen, ich aber muss abnehmen.“ Der Satz könnte eine Hilfe sein: Entspannt damit umzugehen, dass jetzt andere in der ersten Reihe stehen.

Gut, den Kopf soll es mich nicht kosten, da ist Johannes kein schönes Vorbild. Aber einem gelassenen Umgang mit dem eigenen Bedeutungsverlust kann ich einiges abgewinnen. Es hat doch auch was, ein paar Schritte zurückzutreten und mit Neugier zu schauen, was denn die nächste Generation so für Ideen hat, um die Welt zu gestalten, auch meine Kirche. Schließlich war meine eigene Generation in der Bewältigung vieler Herausforderungen nicht unbedingt übermäßig erfolgreich und hat wichtige Fragen verschlafen. Gut, wenn es da ein paar neue Inspirationen gibt. Ich kann mir vorstellen, dass es sogar richtig spannend sein wird, aus der zweiten Reihe zuzuschauen. Und – warum nicht! - mir dabei auch die ein oder andere spöttische Bemerkung zu erlauben. Aber auch mit Anerkennung und Lob nicht zu sparen!

Und: wenn meine Enkelin tatsächlich einmal Fragen haben sollte, stehe ich ihr mit meiner unendlichen Weisheit natürlich gerne zur Verfügung.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=35654
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