SWR4 Sonntagsgedanken

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26JUN2022
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„Kopf hoch, Junge! Das wird schon! Lass erstmal Gras über die Sache wachsen. Zeit heilt alle Wunden.“

Haben Sie sie auch schon mal gehört, solche Sprüche? Und irgendwie das Gefühl gehabt, die helfen nicht wirklich weiter?

Was ist, wenn Zeit eben nicht alle Wunden heilt? Wenn da noch Narben sind? Narben, die allzu leicht wieder aufbrechen können und dann wieder bluten. Wenn die Verletzung noch zu nahe geht. Auch wenn das Ereignis schon lange her ist?

Das Sprücheklopfen fängt dann an, wenn einem nichts mehr einfällt. Wenn die Situation mir so die Sprache verschlägt, dass ich nichts Gescheites mehr zu sagen weiß. Dann krame ich die altgedienten Sprüche hervor und werfe sie dem anderen an den Kopf: „So lange du deine Beine unter meinen Tisch stellst, machst du, was ich sage.“ Hilft auch nichts. Die Angesprochene bleibt bockig.

Aber nicht alle Sprüche sind ein Ausdruck von Sprachlosigkeit. Es gibt auch Sprüche, die einen durch Schwierigkeiten begleiten und die tragen. Die anregen und auffordern, die ermutigen und unterscheiden helfen, die immer wieder ein Ziel vor Augen stellen und helfen mein Verhalten zu fokussieren.

Ein solcher Spruch ist zum Beispiel der Gelassenheitsspruch der 12-Schritte-Gruppen, wie z.B. die Anonymen Alkoholiker:

Gott gebe mir die Gelassenheit,
Dinge anzunehmen, die ich nicht ändern kann,
den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann,
und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.

Der Spruch wird Friedrich Christoph Oetinger zugeschrieben, einem Pfarrer, der im 18. Jahrhundert in Württemberg gewirkt hat. Der hat sicher nicht geahnt, dass sich zweieinhalb Jahrhunderte später suchtgefährdete Menschen jeden Tag diesen Spruch vor Augen führen und versuchen, danach zu leben .

Vielleicht hat es etwas damit zu tun, dass Gott dabei mit im Spiel ist . Gott gebe mir, so beginnt dieser Spruch. Gott ist ein Meister der guten Sprüche. In der Bibel gibt es ein ganzes Buch davon: Die Sprüche im Alten Testament. Manche davon sind in unsere Alltagssprache eingegangen:

Wer anderen eine Grube gräbt, fällt selbst hinein ist zum Beispiel so einer (Sprüche 26,27)
Oder Hochmut kommt vor dem Fall. (Sprüche 16,18) oder
Der Mensch denkt und Gott lenkt! (Sprüche 16,9)

Wir sehen: Sprüche müssen nicht immer nur leicht daher gesagt sein. Manche Sprüche sind sehr tiefgründig und haben sich über Generationen bewahrheitet.

Welcher Spruch hat in Ihrem Leben eine gute Bedeutung gewonnen?
Ich habe neben meinem Schreibtisch eine halbe Wand voll mit postkartengroßen Sprüchen, die mir in meinem Leben wichtig geworden sind. Der, der mich ein halbes Leben lang begleitet hat, steht gar nicht da. Vielleicht, weil ich ihn auswendig kann:

Gott liebt uns nicht, weil wir so wertvoll sind, sondern wir sind so wertvoll, weil Gott uns liebt. Er stammt von Helmut Thielicke, einem Theologieprofessor, der 1986 gestorben ist.

Vier Jahre vorher habe ich mit Studieren angefangen und Thielickes Denken hat mich ziemlich stark geprägt. Obwohl ich ihn nie live gehört habe.
Diese Gewissheit „ich bin geliebt von Gott“ ist ein Grundgefühl, dass ich seit meiner Pubertätszeit kenne. Und sie hat mich durch so manche Phase der Selbstzweifel getragen. Ich wusste: Obwohl ich fehlerhaft und unvollkommen bin, bin ich geliebt und wertvoll in Gottes Augen.

Woher ich das weiß?
Zum einen durch den bekanntesten Spruch des Neuen Testaments:
So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen einzig geborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden. (Johannes 3,16).

Wenn Gott die Welt liebt, dann liebt er auch mich und jeden Menschen, der jemals auf dieser Welt gelebt hat.

Und zum anderen weiß ich das, weil ich es immer wieder von ihm höre. Im Gebet, wenn ich stillschweige und mich in die Gegenwart Jesu begebe. So wie Henry Nouwens Spruch an meiner Wand das sagt: „Beten schafft Raum für die Stimme Gottes, die dir sagt, dass du geliebt bist“. Diese Erfahrung kenne ich. Aber ich mache sie nur, wenn ich mich Jesus im Gebet aussetze. Wenn im Gebet nur ich rede, höre ich ihn nicht. Wenn ich mich ihm aber still hinhalte und warte, bis er was sagt, dann höre ich ab und zu solche leisen Sätze der Zuneigung und Wertschätzung Gottes zu mir. Und das stärkt mein Selbstwertgefühl unglaublich. Und es macht mich unabhängiger von Beifall oder Ablehnung anderer Menschen.

Vielleicht habe ich ihnen Lust gemacht, sich auch solch eine Sammlung wertvoller Sprüche zuzulegen. Mit Sprüchen, die ihnen guttun und die sie Gott spüren lassen Dann  können Ihnen die dummen Sprücheklopfer nicht mehr so viel anhaben.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=35652
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