Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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22JUN2022
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Eine Randbemerkung über Toleranz. Mehr war es eigentlich nicht, was der Preußenkönig Friedrich der Große auf ein Schriftstück notiert hat, das ihm an einem 22. Juni vorgelegt worden ist. 1740 war das. Es ging um die Frage: Sollen katholische Schulen im evangelischen Preußen geschlossen werden? Wenn die Mehrheit der Bevölkerung evangelisch ist: soll es auch eine andere Glaubensrichtung geben dürfen? Viele Staaten jener Zeit haben Wert darauf gelegt, dass alle das gleiche glauben und der Religion des jeweiligen Machthabers angehören. Minderheiten waren nicht gern gesehen und hatten selten die gleichen Rechte wie die Mehrheit.

Friedrich der Große aber griff an jenem 22. Juni zur Feder und notierte an den Rand des Textes seine Entscheidung: „Die Religionen müssen alle toleriert werden. Hier muss ein jeder nach seiner Fasson selig werden.“ Die katholischen Schulen durften offen bleiben, katholische Christen ihren Glauben ausüben. Toleranz war ein wichtiger Wert in Preußen.

Allerdings nur Toleranz, wie Friedrich sie verstanden hat. Er hat sehr klar den Rahmen vorgegeben, in dem man sich zu bewegen und nicht aufzufallen hatte. Juden und Jüdinnen zum Beispiel wurden nicht toleriert. Sie haben auch bei Friedrich keine Chance bekommen, gleichberechtigt mit anderen zu leben. So weit ist seine Toleranz nicht gegangen.

Dabei kommt das Wort „Toleranz“ kommt vom lateinischen „tolerare“. Das heißt übersetzt „ertragen“! Da klingt schon an, dass es anstrengend sein kann, andere zu tolerieren. Es auszuhalten, dass der andere Mensch anders ist, mich irritiert und mir vielleicht in die Quere kommt. Wir sind unterschiedlich geprägt, haben verschiedene Überzeugungen, unterschiedliche Erfahrungen und ticken anders. Nicht nur, wenn es um Religion geht.

Wenn ich einen anderen Menschen toleriere, werfe ich meinen eigenen Standpunkt nicht über Bord. Aber ich ertrage, dass er einen anderen Standpunkt hat. Ich ertrage es, weil wir beide einen Platz auf dieser Erde haben. Dann haben wir womöglich eine Menge zu diskutieren. Und es kann es in der Sache geboten sein, in die Auseinandersetzung zu gehen und meinen eigenen Standpunkt klar zu benennen. Einander toll finden müssen wir nicht. Einander tolerieren, einander ertragen schon.

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