SWR2 Zum Feiertag

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16JUN2022
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Elisabeth Hauröder Foto: C. Hoffmann

Ich bin Christopher Hoffmann von der katholischen Kirche. Meine Gesprächspartnerin heute ist Elisabeth Hauröder. Sie arbeitet als Seelsorgerin in mehreren Gemeinden an der Ahr, die von der Flutkatastrophe  betroffen sind. Die 59-Jährige Theologin, die auch schon lange als Notfallseelsorgerin tätig ist, ist seit der Nacht vom 14.Juli 2021 von Anfang an bei den Menschen vor Ort. Bei den Menschen, die Angehörige, Freunde, Hab und Gut verloren haben. Denen in Orten wie Schuld, Antweiler, Altenahr oder Ahrbrück der Boden unter den Füßen weggerissen wurde. Ziemlich genau elf Monate später findet auch an der Ahr das heutige Fronleichnamsfest statt. Da ich vor zehn Jahren selbst meine Ausbildung zum Pastoralreferenten im wunderschönen Ahrtal machen durfte, kenne ich Elisabeth Hauröder als Kollegin schon lange. Heute, am Fronleichnamsfest, möchte ich mit ihr darüber sprechen, wie es den Menschen an der Ahr inzwischen geht, was ihnen Kummer macht und was ihnen Kraft gibt, und wie sie Fronleichnam feiern. Ein Fronleichnam, an dem auch weiterhin viele Straßen und Häuser zerstört sind.  Liebe Elisabeth, wie erlebst du Fronleichnam an der Ahr im Jahr 2022?

An manchen Orten wird es tatsächlich Prozessionen geben. Manchmal vielleicht dann auch auf anderen und ungewohnten Wegen, weil eine Brücke nicht da ist, weil die Straße nicht begehbar ist, weil die Straße zu einer Umleitungsstrecke geworden ist. Es gibt auch Orte, an denen es einfach nur einen Open-Air-Gottesdienst geben wird, aber es ist allen trotzdem wichtig dieses Fest zu feiern: Jesus unter den Menschen zu feiern – Jesus Christus im Zeichen des Brotes auf den Straßen, auf den Plätzen und Häusern. Er ist da, und das wollen die Menschen feiern.  

Und gerade auch auf den zerstörten Straßen und vielleicht auch in den zerstörten Häusern, oder?

Ja, auch zwischen den zerstörten Häusern, vor den zerstörten Kirchen. Gott hat keine Angst vor dem Dreck, vor kaputten Häusern. Gott hat auch keine Angst vor kaputten Seelen.

Du bist mit vielen Menschen im Gespräch vor Ort– wie geht es den Menschen im Ahrtal aktuell?

Wenn ich an ein Ehepaar denke, das ich vor Augen habe, die waren letzte Woche auch nochmal zum Gespräch da und wir hatten uns ausgetauscht: Und sie warten immer noch auf den Entscheid des Gutachtens und sie wissen immer noch nicht, ob sie das Haus wieder aufbauen dürfen, oder ob es abgerissen werden muss. Und das nach einer so langen Zeit, da immer noch nicht eine wirkliche Perspektive zu haben, das ist so schwer. Also was man natürlich schon auch sagen muss: je mehr die Menschen in die Ruhe kommen und in die Ruhe gekommen sind, desto mehr kommen die Bilder dieser Nacht und dieser Tage dann auch wieder hoch und verlangen Raum, verlangen Platz und das merkt man dann auch, dass das alles auch noch mal aufgearbeitet werden will und aufgearbeitet werden muss. Und da ist der Gesprächsbedarf jetzt auch noch mal zunehmend höher.                       

Ich weiß du bist auf einem Parkplatz in Ahrbrück als Seelsorgerin auch tätig in einem Container. Wie kam es dazu und was erlebst du da?

Ahrbrück ist einer der Orte, wo eben das Pfarrhaus auch schwer geschädigt worden ist und die Kirche ebenfalls schwer geschädigt worden ist. Wir konnten es seit dem auch nicht mehr nutzen, und haben für uns aber überlegt: Uns ist es wichtig bei den Menschen zu sein und wir müssen für sie da sein, gerade in den Situationen und gerade jetzt. Klar, wir haben die Kirche nicht mehr, aber wir können ja zu ihnen gehen. Und haben dann auf dem Parkplatz einfach einen Container uns hinstellen lassen. Und jeden Tag -nach Möglichkeit - ist für zwei Stunden eine Seelsorgerin oder ein Seelsorger da.  Am Anfang war das sehr irritierend: „Was ist das denn? Wer steht denn dahinten jetzt – ein neuer Infocontainer?“ Und dann hatten wir das Logo der Pfarreiengemeinschaft drauf, haben einfach auch Grußkarten verteilt und die Menschen angesprochen und gesagt: „Kommt doch einfach – habt ihr Lust eine Tasse Kaffee mit uns zu trinken? Wir sind für euch da - Wir sind einfach nur da für euch.“ Und dann ist es auch so, dass die Menschen sogar gezielt auf eine Tasse Kaffee bei uns vorbei kommen, weil man ein besonderes Vertrauen zu einer Seelsorgerin hat, und weiß, die ist am Montagmorgen da oder der ist am Mittwochnachmittag da, dass man dann einfach auch die Gelegenheit wahrnimmt und sagt: ich hab was auf dem Herzen und  brauch einfach mal jemanden wo ich das abladen darf.

Ich finde das auch ein starkes Bild im Container auf dem Parkplatz, dieses Unfertige. Und dann gibt es noch das Projekt mit dem wunderbaren Namen „Feuerabend- Feierabend“- was ist das?

Das ist auch eine Idee, die wir geboren haben, weil wir gemerkt haben, dass es wichtig ist Begegnungsorte zu haben.Die Idee ist im Winter natürlich geboren – deswegen Feuerabend, weil wir mit einem Feuerkorb anreisen und Holz im Gepäck haben und dann Glühwein und Glühpunsch im Gepäck haben und einfach mit zwei Seelsorgerinnen vor Ort sind. Für uns ist natürlich auch das Feuer-Jesus Christus das Licht der Welt - , das war das , was bei uns dahinter gestanden hat – wir wollen einfach zeigen, dass Gott auch bei den Menschen ist. Das Feuer als die Möglichkeit in der Kälte Wärme zu bringen. Ich glaub das ist das, was Gott von uns will, dass wir da sind.Es sind Menschen, die auch immer wieder auch von dieser Nacht erzählen möchten. Es sind Menschen, die genau darüber nicht sprechen wollen, sondern die einfach über lustige, schöne Sachen sprechen wollen und es sind Menschen, die sagen: „Es tut mir gut mich mit anderen zu treffen“.

Heute wird die Monstranz mit der Eucharistie als Zeichen der Gegenwart Jesu Christi unter den Menschen in einer Prozession durch die Straßen getragen. Elisabeth, wo glaubst du ist dieser Jesus Christus, wo ist Gott gegenwärtig gewesen in den letzten Monaten? Und wo glaubst du entdeckst du ihn in all dem Schwierigen, über das wir gesprochen haben , auch heute, wenn du als Seelsorgerin unterwegs bist?

Für mich war ER da und ist da und am intensivsten und stärksten mach ich es fest an der wahnsinnigen Hilfsbereitschaft und Solidarität der Menschen. Viele sind auch genauso begrüßt worden: „Euch schickt der Himmel.“ „Ihr seid für mich zum Engel geworden.“„Du bist der Engel. Ich hätte das nie geschafft mein Haus leer zu räumen, wenn du oder ihr nicht gekommen wärt.“ Und Menschen, die sich einfach so aus ganz Deutschland auf den Weg gemacht haben. Und wir haben immer noch Helferinnen und Helfer, die kommen und helfen und es wird auch immer noch gebraucht. Ich weiß, dass da nicht nur gläubige Katholiken und gläubige Christen dabei sind, mit Sicherheit nicht. Ich weiß, dass ganz viele Religionslose da sind, dass alle Konfessionen, alle Religionen vertreten waren bei den Helferinnen und Helfern. Aber genau das ist es für mich, was es ausmacht. Was ich von meinem Glauben auch so verstehe: Gott will, dass wir Menschen uns umeinander kümmern. Dass wir nacheinander schauen, dass wir nach Möglichkeit dafür sorgen, dass wir alle gut auf dieser Welt leben können. Dann, für mich – ich hab erlebt dass ER da war -durch die Kraft die ER mir gegeben hat als Seelsorgerin auch in diesen Wochen, Monaten, immer wieder für die Menschen da zu sein. Und auch immer wieder ermutigen zu können, selbst wenn die Situationen so schlimm waren, dass Menschen ihren Glauben verloren haben – also gerade wenn Angehörige gegangen sind oder weggenommen wurden, das ist ja ein weggenommen sein. Da gab es und gibt es immer Menschen, die ihren Glauben verlieren und die mit Gott hadern und die verzweifeln, und die schreien, dass ER nicht da war und für mich ist es wichtig,  sie zu ermutigen, dass sie das dürfen: Man darf Gott alles vor die Füße schmeißen, ER ist derjenige, der -so hoffe ich es- , mich in meinem Leben trägt.Und wenn ich mich nicht getragen fühle, dann darf ich IHM das hinschmeißen, dann muss ich IHM das sagen. Und mein Verständnis ist, dass ich als Seelsorgerin dann auch da bin und das aushalte. Und ich für mich klar zu haben: dass ER mich jetzt an den Punkt gestellt hat um jetzt einfach als Mensch da zu sein und genauso waren auch viele Nachbarinnen und Nachbarn für andere da.

Prozessionen, die gehen ja auch immer nach vorne- wir blicken jetzt auch mal nach vorne, Elisabeth. Was erlebst du auch an Aufbrüchen, an Ermutigendem im Ahrtal?

Was wirklich ganz toll ist, ist zu sehen wie viele Menschen wieder zurück kommen wollen-weil es ihnen einfach wichtig ist, weil sie ihre Heimat im Ahrtal gefunden haben, bei all dem was sich verändert hat. Dass sie trotzdem sagen: „Ich gehöre hierhin.“ Und wenn ich die Strecke fahre, dann sehe ich einfach,dass die Natur wieder grünt, ich sehe dass es blüht und sprießt, das Grün , das Zeichen des neuen Lebens ist einfach da an jeder Pore kannst du es merken, dass Leben wieder entstehen kann, auch in all dieser Zerstörung, entsteht trotzdem wieder Neues Leben. Und es wird auch wieder geheiratet, es wird auch wieder getauft-auch da ist der Blick nach vorne zu spüren.

Vielen, vielen Dank Elisabeth Hauröder für das Gespräch.

Christopher, sehr sehr gerne.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=35633
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