SWR2 Wort zum Tag

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22JUN2022
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Sarah ist tot krank und hat einen großen Traum: Sie möchte noch einmal auf den Gipfel ihres Lieblingsbergs, den Peitlerkofel in den Dolomiten. Das ist fast unmöglich, denn Sarah leidet an ALS. Ihre Muskeln bilden sich nach und nach zurück, der Körper schwindet und das Ganze ist mit starken Schmerzen verbunden.


Sarahs Freundinnen und Freunde haben aber alles darangesetzt, ihr diesen Wunsch zu erfüllen. Zu dem Zeitpunkt konnte sie sich aber schon nicht mehr bewegen. Also haben sie ein Gefährt gebaut - eine Mischung aus Trage und Sänfte - und einen Plan entwickelt, wie diese außergewöhnliche Bergtour stattfinden kann. Und sie haben es geschafft. Mit allen Kräften, die sie hatten, haben sie Sarah auf den Gipfel geschoben, getragen, gezogen. Sie durften dabei nicht darüber nachdenken, was passiert, wenn etwas schief geht. Wenn sich ein Stein löst, wenn jemand der Helfenden ausrutscht und Sarah umkippt. Jeder Stein, jede Wurzel, die Sarah in ihrem Gefährt spürt, bereitet ihr unglaubliche Schmerzen. Aber es hat sich gelohnt.

Diese Geschichte beeindruckt und begeistert mich. Es ist eine Geschichte darüber, was Freundschaft bewegen kann, eine Geschichte über Hoffnung und Mut und darüber, zu was man imstande ist, wenn man ein gemeinsames Ziel hat.
Was mich besonders anspricht ist, dass die Freundinnen und Freunde ganz bei Sarah und ihrem Traum sind. Nicht bei sich und bei den Zweifeln, ob sie das schaffen, oder nicht. Sie überlegen nicht, ob es gerade für sie gut ist oder nicht, ob es gerade passt. Sie sehen Sarah, die wenige Zeit, die ihr noch bleibt und den großen Traum.
Tatsächlich ist diese Geschichte auch total biblisch. Da gibt es eine Erzählung, in der Freunde ein Hausdach abdecken, um ihren komplett gelähmten Freund zu Jesus zu bringen. Durch die Tür können sie nicht, es ist zu voll. Die Freunde machen alles möglich, um ihrem Kumpel zu helfen. Koste es, was es wolle. Und es klappt, Jesus schaut hin und heilt den gelähmten Menschen.

Ich glaube, das kann man als Freund oder als Freundin nicht immer so machen. Irgendwann muss ich mich natürlich auch um mich selbst kümmern, sonst reicht die Kraft auch nicht für andere. Aber für diesen einen Moment ganz bei jemand anderem zu sein, um einen Traum wahr werden zu lassen, das ist himmlisch.

Ein Freund von Sarah hat nach der Bergtour geschrieben: „Einen Menschen in den Himmel heben, wie großartig muss das sein!“ Es war eigentlich Sarahs Wunsch auf dem Gipfel von allen in den Himmel gehoben zu werden. Aber dazu hat die Kraft nicht mehr gereicht. Die Arme der Helfenden waren wie Pudding und der Abstieg stand auch noch an.
Sarah ist inzwischen gestorben. Aber ihren Traum hat sie sich, und haben ihre Freunde ihr erfüllt. Ich bin sicher: der Moment auf dem Gipfel - das war wie in den Himmel gehoben zu werden.

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