Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Eines meiner Lieblingsgedichte stammt von Hilde Domin. Es heisst:
Auf Wolkenbürgschaft und geht so:

Ich habe Heimweh nach einem Land
in dem ich niemals war,
wo alle Bäume und Blumen
mich kennen,
in das ich niemals geh,
doch wo sich die Wolken
meiner
genau erinnern,
ein Fremder, der sich
in keinem Zuhause
ausweinen kann.

Ich fahre
nach Inseln ohne Hafen,
ich werfe die Schlüssel ins Meer
gleich bei der Ausfahrt.
Ich komme nirgends an.
Mein Segel ist wie ein Spinnweb im Wind,
aber es reißt nicht.
Und jenseits des Horizonts,
wo die großen Vögel
am Ende ihres Flugs
die Schwingen in der Sonne trocknen,
liegt ein Erdteil
wo sie mich aufnehmen müssen,
ohne Pass,
auf Wolkenbürgschaft.


… warum spreche ich dieses Gedicht ausgerechnet heute? Es ist mir in den Sinn, gekommen als ich nachgeschaut habe, welcher Text heute in den katholischen Gottesdiensten im Zentrum steht. Es ist die Stelle im Johannesevangelium in der Jesus sich von seinen Jüngern verabschiedet und ihnen mit einem wunderbaren Bild Mut macht. Er sagt: „Im Haus meines Vaters gibt es viele Wohnungen.“ Das soll ihnen den Abschied erleichtern und Hoffnung geben für ihr Leben in dieser Welt und in der anderen. Dieses Bild sagt mir, bei Gott sind unzählig viele Menschen gut aufgehoben und es gibt auch einen Platz speziell für mich.
Eine Art Garantie für einen Platz im Himmel. Mehr als eine Art Wolkenbürgschaft.
Er rechnet mit mir in seiner Nähe. Dieses Bild kommt für mich auch dem Wunsch von uns Menschen entgegen, einen Ort, eine Heimat zu haben. Etwas wo ich dazugehöre, wo ich geschützt bin, meinen Platz habe und geborgen bin.
Im Haus meines Vaters sind viele Wohnungen – oft wird diese Bibelstelle bei Begräbnissen zitiert. Als Ausdruck der Hoffnung, dass unsere Verstorbenen gut aufgehoben sind, dort wo sie dann sein mögen. Das hat was Tröstliches. Ich denke aber, diese Zusage Jesu gilt nicht nur für das Leben nach dem Tod. Für mich gilt diese Zusage „im Haus meines Vaters gibt es viele Wohnungen“ auch für hier und jetzt. Ich bin überzeugt, dass mir auch heute schon ein Platz, eine Heimat bei Gott oder besser in Gott geschenkt ist. Ein Ort an dem ich sein darf. Ein Ort, der nicht sichtbar ist, aber da –
https://www.kirche-im-swr.de/?m=3560
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