SWR2 Wort zum Tag

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25JUN2022
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Eine der bekanntesten Geschichten im Neuen Testament ist die vom barmherzigen Samariter. Darin wird ein Mann überfallen und bleibt verletzt liegen. Die Leute, die vorbeikommen, beachten ihn nicht. Erst ein Mann aus Samarien kümmert sich um den Verletzten und versorgt ihn. Jesus antwortet mit dieser Geschichte auf die Frage, wer denn genau der Nächste sei, wenn er von Nächstenliebe spricht. Dass er den Samariter als Helfer darstellt, hat seine Zuhörer sicher überrascht. Denn die Samariter waren in dieser Zeit nicht sehr angesehen. Sie waren eher verdächtig und haben nicht dazugehört. Genau das aber macht diese Geschichte so stark. Denn indem Jesus jemand Unbeliebten als vorbildhaft darstellt, unterstreicht er, dass Mitmenschlichkeit keine Grenzen kennen soll.

Aber es schwingt auch etwas mit, das missverstanden werden kann. Denn er sagt auch, dass der Samariter hilft obwohl er Samariter ist. Der Effekt des Gleichnisses wird verstärkt, weil die Zuhörer davon ausgehen, dass Samariter eigentlich nicht barmherzig sind. Einerseits durchbricht Jesus dieses Vorurteil. Aber man könnte hier auch das bekannte Sprichwort anwenden:  Ausnahmen bestätigen die Regel. So gesehen bestätigt er auch das Vorurteil.

Das ist etwas spitzfindig, aber ich komme darauf, weil mir in letzter Zeit immer wieder Situationen auffallen, in denen das passiert. Ein Beispiel: Wenn ich mich mit Leuten über Integration und Geflüchtete unterhalte, ist oft jemand dabei, der in etwa Folgendes Sagt: „Bei uns in der Firma ist auch ein Flüchtling, aber der ist in Ordnung, der ist fleißig und zuverlässig.“ Das soll betonen, dass der Betreffende ein guter Kollege ist.  Aber zugleich schwingt mit, dass er das ist, obwohl er ein Flüchtling ist. Und Flüchtlinge, so wird unterstellt, sind ja eigentlich nicht fleißig oder zuverlässig. Es ist klar, dass die Aussage gut gemeint ist - Und ich will auch nicht alle Worte auf die Goldwaage legen, der Umgang mit unserer Sprache ist sensibel genug - aber mit Blick auf ein mögliches Vorurteil, das dahinter steht, ist diese Aussage auch schwierig.

Als Jesus vom barmherzigen Samariter erzählt hat, ist ihm klar gewesen, was seine Mitmenschen von den Samaritern gehalten haben. Sein Gleichnis hat seine neue und  revolutionäre Lehre unterstrichen. Heute ist diese Lehre 2000 Jahre alt. Die Forderung nach Nächstenliebe und einem respektvollen Miteinander über Grenzen hinweg ist nichts Neues mehr. Aber die alten Denkmuster, in die hinein Jesus gesprochen hat, sind noch nicht überwunden. Ich finde es wichtig das festzustellen und nach Wegen zu suchen, diese Muster zu durchbrechen. Worte wie Freiheit und Chancengleichheit gehen uns leicht über die Lippen. Aber damals wie heute sind sie noch keine Wirklichkeit, sondern bleiben eine Forderung.

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