SWR2 Wort zum Tag

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24JUN2022
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Ich habe leider oft den Eindruck: Wir Menschen machen mit Gott, was wir wollen. Schon in der Schlacht bei der Milvischen Brücke im Jahr 312 hat Kaiser Konstantin das Kreuz auf die Schilde seiner Soldaten malen lassen. Konstantin hatte sich - mehr aus der Not heraus - an den Gott der Christen gewendet. Er sollte ihm zum Sieg verhelfen. Der Kaiser hat die Schlacht gewonnen, und der Christengott hat von nun an als der stärkste Gott gegolten. Die christliche Lehre von der Nächstenliebe hat sich paradoxerweise hauptsächlich mit Hilfe des Schwertes ausgebreitet. Und jeder Herrscher, der einen Krieg führen wollte, hat sich durch die Jahrhunderte gerne auf den göttlichen Willen berufen. Sogar auf die Gürtelschnallen der Wehrmachtssoldaten hatte man im zweiten Weltkrieg  „Gott mit uns“ eingraviert. Und heute überfällt die russische Armee die Ukraine - gesegnet von den Anführern der russisch-orthodoxen Kirche.

Wenn Menschen anfangen einander zu bekriegen, stellen sie gerne Gott ganz nach vorne in ihre Reihen. Das gibt den niederen Beweggründen, die eigentlich zu einem Krieg führen, den Anstrich einer höheren Mission. Wer Gott vereinnahmt, erklärt sich zum Werkzeug Gottes. So wird ein schicksalhafter Kampf daraus, und man ist auf der richtigen Seite. Krieg ist dann in den Augen der Aggressoren kein Verbrechen mehr, sondern eine moralische Pflicht. Man greift dann nicht mehr an, um zu erobern, sondern um die „göttliche Sache“ zu verteidigen. Denn es ist ja offensichtlich, dass es Unrecht ist, jemand anderen zu überfallen - also biegt man es so hin, dass der Angegriffene schuldig ist und wahlweise bestraft oder befreit werden muss. Der Krieg ist „gottgewollt“, also hat der Angreifer nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht dazu. Er erfüllt den göttlichen Plan.

Eigentlich sind diese Argumentationen an den Haaren herbeigezogen. Das könnte jeder einsehen. Dennoch funktionieren sie seit Jahrhunderten. Womöglich seitdem es uns Menschen gibt. Wir formen und biegen uns Gott zurecht, wie wir ihn gerade brauchen. Selbst wenn es sich um einen Gott handelt, der Nächsten- und sogar Feindesliebe fordert, gibt es Menschen, die ihn für ihre niederträchtigen Ziele missbrauchen. In seinem Namen wird gemordet, geplündert und vergewaltigt. Obwohl seine Lehre doch eher dazu einlädt, gerade das zu überwinden und andere Wege zu finden.

Schon allein daran sieht man, wie widersinnig alle Versuche sind, einen Krieg zu rechtfertigen.

Ich nehme für mich nicht in Anspruch zu wissen, was Gott mit uns und der Welt vorhat. Aber ich glaube erkennen zu können, wann Menschen Gott für sich vereinnahmen und ihn in ihre Vorstellungen zwängen, um tun zu können, was sie wollen. Wir alle sind dazu verpflichtet - wenn wir es ernst meinen mit Gott und dem Glauben - hier vorsichtig und aufmerksam zu sein. Denn wer wirklich glaubt, darf nicht alles glauben.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=35542
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