Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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15JUN2022
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Man kann es drehen und wenden, wie man will: Die katholische Kirche steckt in einer tiefen Krise. Das Vertrauen in sie ist erschüttert. Oft dreht sie sich im Kreis, beschäftigt sich mit sich selbst, statt für andere etwas Gutes zu tun. Sie vergisst oder verdrängt, was Jesus ihr vorgelebt hat. Viele Menschen sind deshalb enttäuscht - auch solche, die ihr Leben lang treu dabei waren.

Aber - und um dieses „Aber“ geht es mir heute - aber es gibt auch ganz anderes. Zum Beispiel Jugendliche, Fünfzehnjährige, die einem Priester ihr Herz ausschütten. Die genau das gebraucht haben und sonst vermutlich keinen anderen Ort dafür und keinen anderen Menschen gefunden hätten. So habe ich es erlebt, als ich an einem Abend im Mai die Beichte gehört habe. Zur Vorbereitung auf Ihre Firmung haben fünfzig Jugendliche mit ihren Eltern und Katecheten einen Abend gestaltet. In diesem Rahmen hat jede und jeder ein Vier-Augen-Gespräch geführt, mit mir und anderen Seelsorgern in der Gemeinde.

Was die jungen Leute erzählt haben, war sehr unterschiedlich, so unterschiedlich wie Menschen eben sind. Sie haben davon erzählt, dass sie sich in der Schule schwertun und nicht den Erwartungen entsprechen, die sie an sich selbst haben. Es ging um Konflikte im Freundeskreis. Wie weh es tut, wenn man von einer Freundin enttäuscht wird, von der man angenommen hatte, dass sie die Beste ist. Wie man mit Vater und Mutter klarkommt oder eben gerade nicht. Auch das war wiederholt ein Thema. Mich haben diese Gespräche sehr berührt. Und die Jungs und Mädchen auch; das war unübersehbar. Manche haben geweint. Und waren hinterher erleichtert.

Das meine ich mit dem „Aber“, das ich sage. Der Ruf der Kirche ist schwer angekratzt - aus Gründen, die niemanden wundern, der nicht wegschaut. Ja. Aber die Kirche wird trotzdem gebraucht. Und damit meine ich Menschen, die zuhören, wo jemand sein Herz ausschütten will. Und die das so tun, wie Jesus es getan hätte: ohne Scheuklappen und ohne sich besser zu fühlen. Der Abend mit den Firmbewerbern war anstrengend. Ich habe vier Stunden zugehört und war hinterher erschöpft. Aber die Zeit verging wie im Flug. Und ich war glücklich, dass ich so einen großartigen Beruf habe und dass mir so viel Vertrauen entgegengebracht wird. Immer noch, als einem Vertreter meiner Kirche. Diesen Schatz an Nähe dürfen wir nicht auch noch verspielen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=35537
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