SWR1 3vor8

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Heute ist Himmelfahrt, ein arbeitsfreier Tag für viele. Manche machen ein verlängertes Wochenende daraus, ich auch. Die Tage sind wunderbar lang. Auch uns Christen treibt es aus dem Häuschen, und viele von uns feiern den Himmelfahrts-Gottesdienst unter freiem Himmel, gerne mit den Katholiken zusammen. Im Glaubensbekenntnis heißt es so: Jesus Christus ist auferstanden von den Toten und aufgefahren in den Himmel. Aller Erdenschwere endgültig enthoben, lebt und regiert er im Himmel.

Lange Tage unter offenem Himmel – da scheint es erstmal merkwürdig, dass im Mittelpunkt vieler Gottesdienste ein Traum im Mittelpunkt steht, ein Alptraum noch dazu. Es ist finstere Nacht, als der Prophet Daniel wehrlos von gewaltigen, geflügelten Raubtieren träumt: Von monströsen Viechern, die aus dem aufgewühlten Meer steigen. Das schlimmste Ungeheuer hat eiserne Zähne, und zermalmt alles, was um es ist, und was übriggeblieben ist, trampelt es nieder.

Am nächsten Morgen schreibt Daniel seinen Alptraum auf. Er nimmt ihn ernst. In den bedrohlichen Tiergestalten erkennt er die Brutalität der Mächtigen in seinem Land wieder.

Auch mich verfolgen Nachrichten und Bilder des Tages bis in die Nacht. Der Krieg, der entsetzliche Folgen hat für Abermillionen Menschen auf dieser Erde; die Pandemie, die fast abgehakt scheint, die brüchige Stimme der Expertin, die dem naiv fragenden Reporter den jüngsten Weltklimabericht erläutert. Schreckliche Monster unserer Zeit.

Dann sehne ich mich nach Frieden und Zukunft und Gerechtigkeit.

Auch Daniel sehnt sich nach Frieden. Und in der nächsten Nacht träumt er von einem göttlichen Gerichtshof, in dem das furchtbare Tier angeklagt, verurteilt und schließlich hingerichtet wird. Seine Macht ist zerstört. Und im Traum sieht er einen Menschen, der aus den Wolken des Himmels kommt, und dem Gott alle Macht überträgt. Dieser Herrscher wird seine Macht dafür einsetzen, dass alle Menschen dieser Erde in Frieden leben.

Das ist auch meine verzweifelte Hoffnung, wenn ich morgens den neuen Tag beginne und Radio höre. Tod und Zerstörung werden sich nie durchsetzen, nicht im Himmel und nicht auf Erden. Alle Großreiche sind über kurz oder lang untergegangen. An Himmelfahrt gehe ich deshalb hinaus ins Freie, unter den weiten Himmel. Der Tag erinnert daran, dass Jesus Christus alle Gewalt im Himmel und auf Erden in seinen Händen hält, und niemand sonst. Das klingt naiv, ja. Hoffnung ist vielleicht immer etwas naiv. Ich weiß, dass der Ausgang der dramatischen Lage, in der unsere Welt sich befindet, beängstigend offen ist. Gleichzeitig liebe ich das sanfte Bild von Jesu Himmelfahrt. Es ist eine Widerrede gegen Zerstörung und Gewalt. Himmelfahrt ist ein Zeichen der Hoffnung, und das hilft mir bei der Entscheidung, wo ich selbst mich verorten will.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=35473
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