Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

28MAI2022
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Wird es je wieder möglich sein, dass russische und ukrainische Menschen sich in Frieden begegnen und einander die Hand reichen? Das frage ich mich je länger dieser Krieg dauert. Gerade deutet nichts auf ein versöhnliches Ende hin.

Aber ein vierzehn Meter hohes Friedenskreuz erzählt eine Geschichte, die mir ein bisschen Hoffnung macht. Dieses Kreuz steht seit 70 Jahren in der Nähe der Stadt Bühl im Landkreis Rastatt. Am Anfang seiner Geschichte steht ein Kriegsverbrechen. Eins von der Art, wie sie gerade in ukrainischen Orten aufgedeckt werden. Dieses hat sich im Juni 1944 in dem französischen Dorf Oradour sur Glane ereignet. Deutsche Soldaten einer SS-Panzerdivision haben die 650 Einwohner auf dem Marktplatz zusammengetrieben. Die Männer haben sie in Scheunen, Frauen und Kinder in die Kirche getrieben und dort eingeschlossen. Dann haben sie die Männer erschossen und die Kirche in Brand gesteckt. Nur 36 Menschen haben diese Gräueltat überlebt.

Nach Kriegsende sollten die Schuldigen zur Rechenschaft gezogen werden. Nach dem französischen Gesetz hat schon die Zugehörigkeit zu der deutschen Truppe genügt, die in dem Dorf gewütet hatte, um rechtskräftig verurteilt zu werden. Ob ein Soldat wirklich dabei gewesen ist, musste nicht nachgewiesen werden. Es galt das Prinzip der Kollektivschuld. 

Deshalb war auch ein Häftling aus Reichenbach im Odenwald zum Tode verurteilt - obwohl er nachweisen konnte, dass er zur Zeit des Oradour-Verbrechens in Heimaturlaub gewesen und somit unschuldig war. Nach geltendem Recht sollte er trotzdem sterben. Da hat der damalige Bühler Caritasrektor Johannes Schmidt ein Gelübde abgelegt: Wenn es gelänge, diesen Mann freizubekommen, dann sollte ein großes Friedenskreuz errichtet werden. Gnade vor geltendem Recht - als Zeichen der Versöhnung trotz dieses unfassbaren Verbrechens.

Das Bühler Friedenskreuz zeugt bis heute vom Erfolg seiner Bemühungen: Der Mann kam frei. Und später wurde auch das Kollektivschuldgesetz aufgehoben. Geblieben ist ein weithin sichtbares Zeichen, dass Versöhnung möglich ist, auch dort wo furchtbare Wunden klaffen. Vielleicht wird es noch lange dauern, bis irgendwo an der Grenze zwischen Russland und der Ukraine auch ein Friedenskreuz errichtet wird. Aber der Tag wird kommen. Darauf hoffe ich.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=35442
weiterlesen...