SWR1 Begegnungen

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26MAI2022
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Fabian Neidhardt Foto: Daniel Gebhardt-Fodor

Sabine Winkler trifft Fabian Neidhardt, Schriftsteller

TEIL 1

Wenn Fabian Neidhardt keine Texte oder Bücher schreibt, dann spricht er im Radio, hält Vorträge, macht Poetry Slams… oder er wird gebucht, um mit Menschen zusammenzuarbeiten, z.B. mit Schulklassen. Was würde denn so ein Teilnehmer über ihn sagen?

Lebendig und zugewandt, schweift manchmal ab und überzieht. Ich habe viel gelernt, manchmal aber nicht so konzentriert, wie es sein könnte. (Lacht.)

Fabian Neidhardt ist zielstrebig, aber der Weg zu seinem Ziel kann sich auch mal ändern. Er ist genau und hinterfragt sich kritisch, ist aber nicht verbissen und lacht auch gerne mal über sich selbst. So erlebe ich ihn und so habe ich ihn auch schon vor Jahren kennengelernt. Er ist eigentlich immer gut gelaunt und sprudelt nur so vor Ideen.

Das, was ich kann, das ist Geschichtenerzählen. Also helfe ich Menschen entweder damit, dass ich ihre Geschichte erzähle oder ihnen eine Geschichte erzähle. Oder ich arbeite mit ihnen daran, dass sie ihre Geschichten besser erzählen können.

Als ich ihn treffe, kommt er gerade von einem Schreib-Workshop zurück, den er im Rahmen einer Ausstellung über Gefühle gegeben hat. Und da ist seine Kreativität auf Andere übergesprungen:

Wer wollte, konnte mit Feder und Tinte schreiben, konnte per Schreibmaschine schreiben. Und dann haben wir später Liebesbriefe an den Frühling, an die Schwester, an den roten Mantel der besten Freundin, wo auch immer man Liebe hinschicken kann, geschrieben.

Fabian Neidhardts Themen-Repertoire ist breit gefächert und alles andere als alltäglich. So handelt sein letztes Buch „Immernoch wach“ von Alex, der Krebs diagnostiziert bekommt und in ein Hospiz möchte, sich von seinem bisherigen Leben verabschiedet und dann aber doch nochmal eine Wende erlebt. Normalerweise beschäftigt man sich mit dem Tod im Alltag nicht. Fabian schon, weil ihn Randthemen sehr bewegen.

Ich glaube, wir haben ein Problem, dass wir Dinge, die eigentlich normal sind, dadurch unnormal machen, dass wir nicht darüber reden. Ein Drittel aller Geburten werden Fehlgeburten sein. Das heißt nämlich, dass neben dieser normalen Erzählung von „das ist Schwangerschaft“ liegen unfassbar viele andere Varianten. Und das sind Themen, die sind da und die sind Teil unserer Realität. Und das ist das, was ich daran so problematisch finde, dass es eigentlich viel mehr Dinge gibt, die normal sind, aber wir reden nicht darüber und deswegen werden sie unnormal.

Es gibt mehr als Plus und Minus, das ist ihm wichtig zu vermitteln.

Vielleicht hat zur Faszination für Randthemen auch beigetragen, dass er auf einem Friedhof aufgewachsen ist. Genauer gesagt haben seine Eltern auf einem ehemaligen Friedhofsgelände ein Haus gebaut. Für ihn hat das jedenfalls ausgemacht,

Dass der Ort ganz anders konnotiert ist, dass ein Friedhof plötzlich ein Raum ist, auf dem man lebt. Und dass es natürlich auch Spaß macht, Menschen mit Themen zu konfrontieren, die sie erst mal ein bisschen komisch finden und dann aber merken, da ist eben mehr als das, was in deinem Kopf gerade mit diesem Thema verbandelt ist.

Hashtag Stehaufmännchen – das ist seins, sagt er mir. Er probiert sich in Vielem aus, stolpert, fällt hin und steht wieder auf. Seit er Teenager ist, will er ein Buch veröffentlichen, doch es dauert knapp 20 Jahre, bis ein Verlag ihm den Wunsch erfüllt. Und obwohl er schon viele Niederlagen erlebt hat, ist das Glas bei ihm immer voll.

Also selbst wenn, wenn ich gefeuert werde oder so, dass … natürlich ist das Scheiße und trotzdem fast durchweg, gab es immer den Moment von ja okay, dann stehen wir jetzt auf und machen weiter.

 

TEIL 2

Für Fabian Neidhardt zählt der Blick aufs Positive. Er ist ein Stehaufmännchen und lächelt gern. Und er versucht Menschen etwas davon abzugeben.

Ich habe für mich beschlossen, dass ich diese Welt besser verlassen möchte, als ich sie vorgefunden habe. Das bestimmt tatsächlich relativ viel in meinem Leben, also von meiner Art der Ernährung, meiner Art, wie ich einkauf, aber halt auch in der Art, wie ich mit Menschen begegne. Ich freue mich, wenn Menschen mich anlächeln. Ich freue mich, wenn Menschen mir freundlich begegnen. Also begegne ich erst mal den Menschen freundlich, so.

Und das funktioniert für ihn ziemlich gut. Als Jugendlicher hat er zudem erfahren, dass man auch offen neuen Themen begegnen kann. Das war in der katholischen Kirche:

Mein Pfarrer war großartig, weil ich sagte irgendwann: „Herr Eckstein, dieses Ding mit meiner großen Schuld - ich fühle mich ehrlich gesagt, nicht schuldig!“ Und der sagte nur: „Ist doch gut, dann sprichst du das nicht mit.“ Und so bin ich groß geworden mit so einer Offenheit, wo ich gedacht habe: „Okay, das ist möglich. Dann können wir uns länger damit beschäftigen.“  

Der katholische Glaube hat ihn geprägt und viele Werte und Aspekte begleiten ihn zum Teil noch heute.

Aber es gibt eben Aspekte, die von Menschen, die sich dem gleichen Glauben, zugehörig fühlen, vertreten werden, wo ich sage, das sind nicht meine Werte.

Weil es „mehr“ gibt als die eine Meinung oder Haltung, weil Gott eben „mehr“ ist. Und da ist es wieder, dieses Offensein für „mehr“, das Fabian so wichtig ist.

Für seinen neuen Roman hat er über Männer recherchiert, die unfruchtbar sind. Im Gespräch mit einem Urologen hat er über Spermien erfahren:

Biologisch gesehen startet das Leben als Teamarbeit, als Team Event, und wenn sie nicht zusammenarbeiten, dann wird niemand über diese Linie kommen, und es gäbe kein Leben. Was machen wir? Warum erzählen wir die ganze Zeit, dieses Bild von dem Stärkeren, der sich gegen alle durchsetzt? und nicht die Geschichte von: Wenn wir gemeinsam arbeiten, schaffen wir es! Warum erzählen wir nicht die Geschichte von: Leben beginnt, mit Teamwork?

Eine neue Variante, die erzählt werden möchte – genau sein Ding. Und dann ist da noch dieses Lächeln-Ding:

Jeden Tag postet Fabian auf Instagram sein Lächeln des Tages. Er nennt sich „Botschafter des Lächelns“ seit er vor Jahren einmal Visitenkarten bedruckt hat, mit Gutscheinen für „ein mal Lächeln“. Ein kleines Kärtchen und wenn ich es sehe, muss ich auch lächeln. Fabian hat es verinnerlicht. Während ich meine Mails mit „freundlichen Grüßen“ unterschreibe, steht bei ihm: „Lächeln, Fabian“.

Ich glaube, der Aspekt von „der Welt erst mal mit Freundlichkeit und positivem Gefühl zu begegnen“ und ganz viel davon von der Welt zurückzubekommen, macht, dass ich merke: Ja okay, das funktioniert! Warum sollte ich das ändern?

https://www.kirche-im-swr.de/?m=35434
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