Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

17MAI2022
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Was kommt heute wohl auf mich zu? An manchen Morgen weiß ich schon, dass es eine Menge sein wird. Manchmal kommt so viel zusammen, da möchte ich mich am liebsten auf eine einsame Insel zurückziehen.

Es gibt eine kleine Episode von Jesus in der Bibel, die passt genau dazu. Jesus und seine Jünger sind so im Dauereinsatz für andere, dass sie noch nicht mal Zeit zum Essen finden. Da sagt Jesus zu seinen gestressten Begleitern: „Kommt mit an einen einsamen Ort […], und ruht ein wenig aus.“ (Mk 6, 31).

Ich muss an diese Szene in der Bibel denken, wenn ich die vielen Helferinnen und Helfer sehe, die für Geflüchtete, Wohnungslose oder Kranke unermüdlich im Einsatz sind. Sie sind zum Beispiel in den Unterkünften, an den Schulen oder bei den Tafelläden. Mir fallen aber auch die vielen Krankenpfleger oder Ärztinnen ein, die in den Kliniken arbeiten und immer überlastet sind. Sie alle leisten Unglaubliches. Da noch Zeit für sich und die eigenen Bedürfnisse zu finden, stelle ich mir schwierig vor.

Meine Bekannte Hannah erlebt das so: Ihr fällt es schwer, sich selbst etwas Gutes zu tun, während um sie rum so viele Hilfe brauchen. Sie sagt: „Manchmal habe ich ein schlechtes Gewissen. Da warten die Leute in den Massenunterkünften tagelang auf ihre erste Dusche, und ich wünsche mir einen Cappuccino in der Sonne, weil ich mal auftanken möchte.“

Ja, im Vergleich zu dem, was so viele in den Kriegsgebieten oder an anderen schlimmen Orten erleiden müssen, können einem die eigenen Wünsche ganz schön unerheblich vorkommen. Aber deshalb sind sie trotzdem nicht unwichtig. Gerade wenn viel zu tun ist, ist es so wichtig, dass ich sorgsam mit mir selbst umgehe. Dass ich herausfinde, was mir vor oder nach einem langen Tag guttun könnte. Zum Beispiel ein gutes Frühstück oder dass ich mal wieder mit einem Lieblingsmenschen telefoniere. Dass ich mich zu einem Spaziergang am Abend aufraffe oder was ganz anderes.

Meine Bekannte Hannah hat sich etwas vorgenommen. Sie erklärt mir: „Ich will nicht immer nur Funktionieren müssen und Tun und Machen hier und dort. Einmal am Tag will ich in mich hineinhören und das, was sich dann meldet, ernst nehmen. Auch wenn ich das nicht immer sofort umsetzen kann, ich will wenigstens noch wissen, was ich mir wünsche.“ Hannah hat Recht. Auch wenn die Welt an vielen Orten gerade aus den Fugen geraten ist: jeder und jede ist es wert, dass er oder sie gut zu sich selbst ist.

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