SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

09MAI2022
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Neulich bin ich mit der Straßenbahn unterwegs gewesen. Da hat bei einer jungen Mitfahrerin das Handy geklingelt. Offensichtlich ist ihr Freund am anderen Ende gewesen. Und sie hat dann die anderen Mitfahrer vergessen. Jedenfalls habe ich sehr intime Dinge gehört, über die sich die beiden angeregt unterhalten haben. Selbst vor den neuesten Frauenarztdiagnosen hat sie nicht Halt gemacht.

Ich habe mich dann gefragt, ob dieses Gespräch nicht besser stattgefunden hätte, wenn sie miteinander zu Hause sind? Aus Gründen der Diskretion - mir und ihnen selbst gegenüber?

Diskretion spielt auch im Leben eines Pfarrers eine große Rolle. Schließlich erzählen mir Menschen bei Besuchen sehr persönliche Dinge. Deshalb gehe ich für Gespräche in der Regel zu den Menschen nach Hause. Dort sind diese persönlichen Dinge am besten aufgehoben. Die Menschen, die ich besuche, haben sozusagen einen „Heimvorteil“. Sie sind in ihrer gewohnten Umgebung, alles ist vertraut. Ich spüre, dass es den Menschen dann leichter fällt mit mir zu sprechen. Ab und zu werde ich gefragt, ob sie sich darauf verlassen können, dass alles unter vier Augen bleibt. Natürlich! Und da stelle ich mir die Frage, was die Betroffenen bereits an Vertrauensbrüchen erlebt haben.

Der jungen Frau in der Straßenbahn ist Diskretion scheinbar nicht wichtig gewesen, wie es ihrem Partner am anderen Ende der Leitung gegangen ist, weiß ich nicht. Ich habe mich jedenfalls sehr unwohl gefühlt, weil ich den Eindruck gehabt habe, etwas mitzubekommen, was gar nicht für meine Ohren bestimmt gewesen ist.

Wenn ich mich einer Person gegenüber vertrauensvoll öffne, möchte ich mich darauf verlassen können, nicht am nächsten Tag Stadtgespräch zu sein.

Aus diesem Grund bin ich als Pfarrer an das Beichtgeheimnis gebunden. Und damit eben auch an absolute Diskretion. Ich führe am liebsten Gespräche unter vier Augen, ohne Telefon und ohne Handy. Und spüre dabei, wieviel Kraft und Befreiung bei den Menschen zu spüren ist. Weil sie wissen, dass ihre Anliegen den Raum nicht verlassen, in dem wir reden. Und das Vertrauen finden, sich ganz zu öffnen.

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