Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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13MAI2022
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Laufen sie einfach mal ein Stück rückwärts! Das rät die Theologin und Clownin Gisela Matthiae. Denn beim Rückwärtslaufen ändert sich die Perspektive. Klingt verrückt, aber manchmal hilft das, die Dinge anders und neu zu bewerten. Ich habe das ausprobiert und gemerkt wie recht sie hat. Beim Rückwärtslaufen sieht man die Strecke, die man bereits zurückgelegt hat. Erkennt Wegmarken, die man schon fast vergessen hatte: Ah, der blühende Baum. Und das Haus mit den hübschen Fensterläden. Aber auch der Bürgersteig über den ich gestolpert bin und der geschlossene Laden, der einen verwahrlosten Eindruck macht. Alles was war bleibt länger im Blick und nur allmählich kommt Neues dazu.

Natürlich hat das Rückwärtslaufen auch seine problematischen Seiten. Denn beim Rückwärtslaufen sieht man ja nicht was kommt. Man kann keinen Hindernissen ausweichen, keine Pläne machen, wie man mit dem umgehen will, was vor einem liegt. Auf Dauer ist das sehr anstrengend. Aber für kurze Strecken tut es einfach gut. Im jüdischen Zeitverständnis sind wir Menschen immer rückwärts unterwegs, mit dem Rücken voraus. Dort geht man davon aus, dass die Vergangenheit das ist, was wir vor Augen haben. Die Zukunft dagegen liegt uns im Rücken. Ich finde das ist ein heilsamer Perspektivwechsel. Denn es ist ja wirklich so: wer kann denn schon in die Zukunft schauen? Alles was wir darüber sagen können sind Vermutungen. Das führt oft dazu, sich unnötig Sorgen zu machen. Ist es nicht manchmal besser, sich die Vergangenheit genau anzuschauen? Und vielleicht auch aus dem zu lernen, was war, um es einmal besser zu machen. Vielleicht stärkt das auch das Vertrauen: Denn schau – so viel ist schon passiert und doch bin ich noch da. Mit Gebrauchsspuren, ja, und manchen Narben, aber noch immer unterwegs. Behütet bis hierher.

Vielleicht haben Sie heute ja auch Lust: Laufen Sie einfach mal ein Stück rückwärts und schauen Sie, was Sie schon alles geschafft haben.

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