Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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07MAI2022
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Bis vor einigen Jahrzehnten hat die überwältigende Mehrheit der Menschen in unserem Land einer christlichen Konfession angehört. Man wurde in die Kirche hineingeboren und hineingetauft, der schon die Eltern und Großeltern angehört haben.

Was noch in meiner Kindheit so selbstverständlich war, hat sich grundlegend verändert, wie so Vieles andere auch. Heute ist nur noch etwas weniger als die Hälfte der Bevölkerung entweder evangelisch oder katholisch, etwa zehn Prozent gehören kleineren christlichen Kirchen an. Und knapp sieben Prozent sind Muslime.

Das bedeutet: etwa ein Drittel der deutschen Bevölkerung ist „konfessionslos“, wie das amtlich heißt. Entweder ohne kirchliche Bindung aufgewachsen oder aus einer Kirche ausgetreten. Für einen Austritt gibt es vielerlei Gründe, und manche davon kann ich nur allzu gut verstehen. Leider kann ich keinen einzigen dieser Gründe ändern. Gut finde ich, dass es bei uns heute wirkliche Religionsfreiheit gibt. Das ist ohne Zweifel eine kostbare Errungenschaft. Denn zur Würde des Menschen gehört auch die Freiheit, zu glauben oder nicht zu glauben, was man für richtig hält, ohne aus der Gesellschaft ausgeschlossen zu werden. 

Der tschechische Religionssoziologe Tomáš Halík hat untersucht, was Menschen in Europa derzeit glauben. Dabei hat er so etwas wie eine neue Konfession ausgemacht: Viele seien „Etwasisten“. So nennt er Menschen, die glauben, irgendetwas Höheres werde es schon geben. Dieses Etwas genauer beschreiben wollen sie gar nicht. Es genügt ihnen, einfach offen zu sein.

Ich habe oft mit Menschen zu tun, die nach dieser Bezeichnung Etwasisten sind. Ich schätze an ihnen, dass sie offen sind, auch nach oben offen. Denn sie halten ja für möglich oder auch wahrscheinlich, dass es irgendein ‚Etwas‘ gibt, das größer ist als ich, als wir, größer als die Welt, die man vermessen kann. Das glaube ich auch, und darin sind wir verbunden. Freilich, mein Glaube geht darüber hinaus, ich glaube an den Gott, den die Bibel bezeugt. Aber manchmal, da kann auch ich nicht viel mehr und viel konkreter glauben, als zu vertrauen, dass ich irgendwie getragen werde. Und dann wieder bin ich ganz gewiss, dass dieses Etwas einen Namen hat. Dass ‚es‘ auch meinen Namen kennt und ich ‚es‘ ansprechen darf. ‚Gott‘ sagen darf, ‚du, Gott‘. Und ich bin sicher, dass er sich auch von den Menschen ansprechen lässt, die ihn vorsichtig und zögernd ‚Etwas‘ nennen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=35325
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