Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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04MAI2022
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„Wir müssen reden!“ Wenn ich das höre, weiß ich, jetzt wird‘s ernst. Es ist etwas zu klären, etwas Grundsätzliches. Es muss sich etwas ändern, etwas Wichtiges. Und das Gespräch, das dann folgt, ist meist nicht angenehm. Wenn‘s gut läuft, öffnen sich beide Gesprächspartner, sagen einander, wie sie die Sache sehen und empfinden, hören einander zu, und finden einen Weg, der den Streitpunkt klärt und vielleicht sogar die Beziehung zwischen beiden verbessert. Aber am Anfang dieses Prozesses steht die Uneinigkeit, die erst zur Sprache kommen muss, bevor man wieder zusammenfinden kann. 

„Du, Gott, wir müssen reden!“ Manchmal schießt mir das einfach so durch den Kopf, wenn ich von irgendwas Schlimmem höre. „So geht das doch nicht, Gott, so kannst du die Welt doch nicht in ihre eigene Zerstörung laufen lassen.“ Oder den jungen Mann an seiner Drogensucht zugrunde gehen lassen. Oder zusehen, wie Städte von Bomben plattgemacht und Millionen Menschen vertrieben werden ...

Ich weiß, dass ich menschliche Bosheit und menschliches Versagen nicht Gott vorwerfen kann. Und ebenso, dass Gott nicht wie eine Respektsperson ist, die im Konfliktfall ein Machtwort spricht – und basta. Das sehe ich alles, und doch bin ich manchmal so ratlos, so verzweifelt, dass mir nichts anderes mehr einfällt. Dann mach ich‘s so, wie‘s schon die Menschen in den Psalmen der Bibel vor zweieinhalbtausend Jahren gemacht haben.

„Du, Gott, wir müssen reden!“ So hört sich das bei mir an, wenn ich von allem genug habe und keinen Rat mehr weiß. Und dann erlebe ich oft, dass sich wirklich etwas verändert. Nicht, dass das Problem sich sofort löst. Aber in mir kann sich etwas lösen. Ich übergebe es in eine größere Hand, die mehr bewirken kann als ich. Und noch etwas ändert sich in mir: Ich höre auf, Gott genau zu sagen, was er tun soll. Und wenn ich für Menschen bete, dann nenne ich nur ihre Namen und leg sie quasi in seine Hand. Und langsam werde ich dann sicher: Hier ist der richtige Ort für all das Ungeklärte und Trübe, das ich nicht klären kann. Und für die schrecklichen Geschehnisse in der Welt, für die bisher niemand eine Lösung findet. 

Es ist ein innerer Weg, den ich da immer wieder von neuem gehe, gehen muss. Von „Gott, wir müssen reden!“ zu „Gott, du weißt, was wir brauchen.“ Manchmal ist es ein ganz schön langer Weg. Aber bisher bin ich noch immer weitergekommen.

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