SWR2 Wort zum Tag

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02MAI2022
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„Was sind das für Zeiten, wo ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist, weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt!“ Bert Brecht hat diese Frage gestellt.  In seinem Gedicht „An die Nachgeborenen“. Entstanden in den Dreißigerjahren des letzten Jahrhunderts. Unter den Vorzeichen der Naziherrschaft. In diesen Tagen lässt sie mich nicht mehr los. Immer dann, wenn ich doch auch wieder einmal über irgendetwas anderes reden möchte – etwas anderes im Fernsehen sehen oder in der Zeitung lesen will als immer nur dieses belastende Thema: Krieg! Manchmal vielleicht noch ergänzt mit den neuesten Fakten zum aktuellen Stand der Corona-Pandemie. Fast ein Verbrechen sei das, zu den entscheidenden Themen zu schweigen, sagt der Dichter Bert Brecht. Keine Möglichkeit gibt es, sich in anderes zu flüchten. Einfach einmal vergessen zu können. Das Leben zu feiern. In seiner ganzen Buntheit und Vielfalt.

Selbst wenn ich es versuche, es gelingt mir ohnedies nicht. Jede Nachrichtensendung gräbt sich mit ihren schrecklichen Bildern in meine Seele ein. Es gehört zu meiner menschlichen Grundausstattung, dass mir das Leid anderer nicht gleichgültig ist. Und eine biblische Einsicht ist es ja auch: „Wenn ein Mensch leidet, leiden wir anderen alle mit.“ (1. Korinther 12,26) Empathie nennen wir das heute, was der Apostel Paulus da vor zweitausend Jahren so beschreibt. Empathie ist aber nicht nur eine Haltung, mit der Menschen einander begegnen. Für mich zeichnet es gerade auch Gott aus, empathisch zu sein. Und uns unser Leben auch genießen und feiern zu lassen. Jesus hat deshalb von der Welt, wie Gott sie gemeint hat, immer wieder im Bild eines großen Festes gesprochen. Ein Hausherr lädt Gäste ein. Aber gerade nicht die, die ohnedies immer feiern. Seine Einladung gilt gerade denen, die eigentlich nichts zu feiern haben. Den Menschen am Rande. Den Habenichtsen und den Ausgestoßenen. Auch denen gilt sie, denen der Krieg einen Strich durch die Rechnungen ihres Lebens macht.

Darum möchte ich dem Satz von Bert Brecht doch auch etwas entgegenhalten. Ich möchte, ja ich muss manchmal auch über Bäume sprechen. Über Vögel. Über die Schönheit der Berge und Seen. Und die Schönheit des Lebens überhaupt. Ich muss manchmal auch feiern, dass ich bin, dass ich geliebt werde. Dass ich andere lieben kann. Ich würde das Leben sonst nicht aushalten. Und wäre denen keine Hilfe, die doch auf meine Unterstützung angewiesen sind. Und deren Leiden ich nicht verschweigen möchte. Ich hoffe, dass mir das immer wieder geling.

 

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