Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

27APR2022
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Gibson Les Pauls sind die wertvollsten Gitarren der Welt. Sie sind so etwas wie die Stradivari unter den elektrischen Gitarren. Für Les-Paul-Gitarren, die zwischen 1958 und 1960 gebaut wurden, zahlen Sammler bis zu 500.000 Dollar. Als Gitarrenfan habe ich mir neulich ein Buch gekauft. Darin sind einige dieser seltenen und wunderschönen Gitarren abgebildet. Und die stolzen Besitzer erzählen, wie sie an ihre Schätze gekommen sind.

Aber einer fällt aus dem Rahmen: Der amerikanische Gitarrist Phil Keaggy. Phil Keaggy erzählt in diesem Buch nicht, wie er seine Gibson Les Paul gefunden hat. Er erzählt wie er sie weggegeben hat, bevor diese Gitarren so wertvoll wurden. 1971 hat er seine Les Paul in einem Musikgeschäft gegen eine damals neue, aber heute relativ wertlose Gitarre eingetauscht.

Was für ein Fehler! Ich stelle mir vor, wie Phil Keaggy nachts wach liegt und sich ärgert. Wie er sich wünscht, er könnte diesen Tausch rückgängig machen. Und wie es ihm jedes Mal einen Stich versetzt, wenn er eine dieser alten Gibson Les Pauls sieht.

Aber es ist anders: Wenn man Phil Keaggys Geschichte in diesem Buch liest, ist da von Bitterkeit keine Spur. Er ist dankbar für die Zeit, in der er diese besondere Gitarre hatte. Und er ist total zufrieden mit der anderen Gitarre, die er jetzt schon seit über 50 Jahren spielt. „Sie hat genau den Klang, den ich liebe“, schreibt er. 

Mich beeindruckt diese Geschichte – diese Verlustgeschichte zwischen all den Erfolgs- und Glücksgeschichten in diesem Buch. Auch wenn die wenigsten Menschen teure Gitarren verloren haben, Geschichten von Verlusten, Fehler und falschen Entscheidungen kann wahrscheinlich jeder aus seinem Leben erzählen. Ich finde, man kann von Phil Keaggy lernen, wie man damit umgehen kann. Man sollte sich nicht die ganze Zeit mit Gedanken quälen wie „Was wäre wenn?“ oder „Hätte ich doch bloß nicht“. Stattdessen sollte man das, was war, hinter sich lassen. Man sollte dankbar auf die guten Dinge im Leben schauen, die man hier und jetzt hat.

Ich denke, Phil Keaggy hilft dabei auch sein Glaube an Gott. In einem seiner Lieder erzählt er, wie er versucht weder in der Vergangenheit noch in der Zukunft zu leben. „Die Vergangenheit ist viel zu schwer, um sie zu tragen“; heißt es da, „wenn ich zu lange in der Vergangenheit bleibe, dann kapitulieren meine Träume vor der Reue“. Stattdessen dankt Phil Keaggy Gott für die Gegenwart: „Danke Gott für das Heute. Ich bin dankbar für die Gegenwart, die ich habe“. Und er nimmt sich vor: „Jetzt ist der Moment, in dem ich leben will“.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=35294
weiterlesen...