Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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25APR2022
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Ganz früh am Morgen steht Maria am Grab. Sie möchte allein sein. Jesus noch einmal sehen. Abschied nehmen. Irgendwie begreifen, was da passiert ist. Vor ein paar Tagen auf Golgatha. Und dann das. Das Grab ist leer. Das kann doch alles nicht wahr sein. Noch einmal schaut sie hinein. Vielleicht hat sie nicht richtig hingeschaut. Doch Jesus liegt wirklich nicht dort. Aber jetzt sitzen da zwei Engel. „Frau, was weinst du?“ fragt einer der beiden. Meine Güte, was für eine Frage, denkt Maria. „Sie haben Jesus aus dem Grab geklaut,“ sagt sie. Ihre Stimme ist laut und am liebsten würde sie die beiden schütteln. Sie muss hier weg, diese weißen zarten Engel machen sie wütend. Sie dreht sich um und jetzt steht da auch noch ein Mann. Was macht denn der Gärtner schon so früh hier beim Grab. Und auch er will wissen, warum sie weint. Und dann bricht es aus ihr raus: „Warum ich weine? Jesus ist tot. Alles ist vorbei. Das Leben ist ein dunkles schwarzes Loch. Und jetzt kann ich nicht mal mehr Abschied nehmen. Sie haben ihn einfach aus dem Grab geklaut. Und du fragst, warum ich weine? Lass mich einfach in Ruhe!“

Der Mann steht da, hält sie aus, schaut sie an und dann sagt er nur ein Wort: „Maria!“ Und in diesem Wort liegt alles drin. Die letzten drei Jahre. Der Aufbruch, die Freiheit, die Hoffnung, die Liebe. Und ihr gehen die Augen auf. Niemand hat Jesus geklaut. Hier steht er vor ihr. Er redet mit ihr. Und noch einmal kann sie ihn so ansprechen, wie so viele Male in den letzten drei Jahren: „Mein Lehrer!“ Und am liebsten würde sie ihm um den Hals fallen. Aber er hält sie zurück. „Du kannst mich nicht halten. Mein Ort ist jetzt nicht mehr hier bei euch. Ich gehe zu meinem Gott, zu eurem Gott. Dort bin ich gut aufgehoben.“

Die Sonne geht auf. Maria nimmt Jesu Worte tief in sich auf. Ich bin bei Gott gut aufgehoben, so hat er gesagt. Und sie spürt: das dunkle Loch verschluckt sie nicht. Denn der Aufbruch, die Freiheit, die Hoffnung, die Liebe. Nichts von alledem ist verloren. Und sie geht in den anbrechenden Morgen.

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