Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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13APR2022
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Neulich sehe ich, wie ein junges Paar sich voneinander verabschiedet. Nur so nebenbei - in ein, zwei Stunden sehen sie sich wahrscheinlich schon wieder. Aber trotzdem - fast schon im Loslaufen - strecken sie noch einmal den Arm nacheinander aus, und flüchtig berührt eine Hand die andere.

Diese kleine, zärtliche Berührung sehe ich vor mir in diesen Tagen, kurz vor Karfreitag. Übermorgen ist es soweit, und Christen erinnern daran, wie Jesus von Nazareth am Kreuz gestorben ist. Die Bibel erzählt auch von einer eher kleinen und leisen Begebenheit kurz vorher - eine Geschichte, die mich sehr berührt.

Eine fremde Frau kommt zu Jesus, der mit seinem engsten Freunden abends zusammen sitzt. Und sie sehen zu, wie die Frau auf Jesus zugeht, ein kleines Gefäß mit kostbarem Duftöl in der Hand. Und wie sie das Öl auf Jesu‘ Stirn gibt und ihn salbt - ihn sanft berührt.

Eine Berührung, ganz nah, ganz sanft - liebevoll und gleichzeitig voller Respekt. Und diese Geschichte berührt mich in diesen Tagen: Wenn ich daran denke, wie Jesus damals unter Druck gestanden haben muss: Täglich in öffentliche Streitgespräche verwickelt, und den Anfeindungen seiner Gegner ausgesetzt. Wenn ich sehe, was für ein Druck heutzutage herrscht: in der Politik, die mit den Folgen eines Krieges fertig werden muss. Mit den Folgen einer Pandemie. Den Druck der Inflation, wenn wir zusehen müssen, wie die Preise in die Höhe schnellen - und manche kaum noch wissen, wie sie über die Runden kommen sollen. Ganz zu schweigen der Druck auf Millionen Menschen weltweit, die auf der Flucht sind und nicht einmal wissen, was der nächste Tag bringen wird.

Wie kostbar ist da jede Berührung, jeder Moment, in dem ein Mensch einen anderen spüren lässt, dass er nicht alleine ist. Wie kostbar die Berührung dieser fremden Frau, die Jesus so nahe kommt, sich spüren lässt und Jesus spüren lässt, wie wichtig er ist für sie. Und dass er nicht alleine ist auf seinem schweren Weg.

Ich sehe das junge Paar sich verabschieden, oder Eltern, die ihre Kinder an der Haustür in den Arm nehmen. Mich berührt, wenn Familien, die die Flucht aus den Kriegsgebieten auseinander gerissen hat, sich wiederfinden dürfen und einander in den Armen liegen. Die vielleicht aber auch einen geliebten Menschen ein letztes Mal haben berühren müssen - um ihm halbwegs würdig zu beerdigen.

Jesus selbst hat von der Frau gesagt, sie habe ihn gesalbt für sein eigenes Begräbnis. Er wusste, dass er seinen Feinden nicht entkommen würde. Die Berührung der Frau mag ihn getröstet haben. Vielleicht hat sie ihm geholfen.

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